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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Politik war nicht, dass ich Entscheidungen fällen musste. Entscheidungen musste jeder früher oder später treffen. Egal, ob es nun bloß kleinere von geringer Tragweite waren, oder die großen, zukunftsweisenden Entscheidungen. Wenn man jedoch herrschte, war das wirklich Problematische am Fällen von Entscheidungen, dass man es möglichst allen recht machen musste.
    Ich wollte meine Ruhe. Ich hatte mich in meinem kleinen Fürstentum am Ende der Welt hinter Arbeit vergraben wollen, um mich in Ruhe der Trauer über meine seelischen Verletzungen hinzugeben. Aber ich hatte es nicht gekonnt. Die Menschen hatten jemanden gebraucht, der regierte. Und sie brauchten ihn weiterhin. Wenn ich es nicht tat, tat es womöglich jemand, der es wesentlich schlechter mit seinen Leuten meinte.
    Es hieß also seit jenen Tagen, zu seiner Verantwortung zu stehen.
    Und das hieß es auch jetzt und hier, in der Hauptstadt des Ehernen Reiches.
    Manchmal hoffte ich, dass meine Einstellung zu Dingen wie Loyalität und Aufrichtigkeit mir nicht irgendwann einmal ein Bein stellen würde.
    Aber Loyalität war so unglaublich wichtig in meinen Augen. Nur, wenn ich mich einem Prinzip oder einer Sache verschrieben hatte, konnte ich auch alles für sie geben. Und nur dann konnte sie gelingen.
    Deshalb hatte ich auch noch nicht hingeworfen in Falkenberg, obwohl ich mir schon lange überlegt hatte, die Regierungsgeschäfte vielleicht wenigstens einmal für ein paar Monate meinem Haushofmeister Dirnt und Hermelink zu gleichen Teilen zu übertragen, um auf Reisen zu gehen. Irgendwohin, um mit mir allein zu sein.
    Aber es ging nicht. Und so verhielt es sich auch mit dem Reich. Allerorts wurde darüber spekuliert, wie lange das Reich noch halten würde. Wie lange würde ein aus Idealismus angerührter Kleister dem fragilen Gebilde aus Fürstentümern noch Stabilität verleihen? Ich wusste es nicht, aber im besten Falle noch lange, lange Zeit. Wenn ich nur an die unschätzbaren Vorteile des Reiches dachte: Man stand als politische Größe anderen gegenüber. Man besaß im Notfall gebündelte militärische Macht, ohne lange vorher fragwürdige Bündnisse schließen zu müssen. Überall im Reich galt die gleiche Währung aus Hellern, Pfennigen und Talenten – und sie wurde streng überwacht. Kaufleute konnten Grenzen zwischen Fürstentümern ungehindert passieren – und die Leute konnten an Waren gelangen, für die sie ansonsten lange, gefährliche Reisen und horrende Wegzölle hätten bezahlen müssen.
    Kurzum, das Eherne Reich bot ausschließlich Vorteile für die breite Masse an Bewohnern.
    Ich wanderte unruhig umher, spielte mit dem Griff von Erlenfang an meiner Seite. Morgen würde ich die Amtsgeschäfte des Königs übernehmen müssen. Zwar nur vorübergehend, aber immerhin. Andere Leute hätten vielleicht von sich behauptet, sie wären nun die mächtigste Person im ganzen Ehernen Reich. Ich sah es eher wie König Hroth es getan hätte: Ich war nun die Person mit der meisten und größten Verantwortung im Reich. Und diese Bürde lastete schwer auf meinen Schultern.
    Wieder schlief ich unruhig und alles in allem eher schlecht.
    Nach einem kurzen, deftigen Frühstück, das ich zusammen mit Hermelink einnahm, wurde ich von Amondo abgeholt und in den Hauptturm und die Arbeitsräume des Königs geleitet. Während wir durch die Gänge streiften, unterhielten wir uns.
    »Ich werde die Tagungszeit des Konklaves verkürzen«, meinte Amondo und zupfte an seinem perfekt gestutzten Bart.
    »Wieso das?«, wunderte ich mich.
    »Es wird sonst zu anstrengend«, war die einfache Erklärung. »Ich werde das Konklave auf vier Stunden am Tag begrenzen. Danach lässt die Konzentration nach, die Teilnehmer werden gereizt. Es ist der Stimmung und letztendlich auch dem Ergebnis abträglich, wenn ich die Hohen Häuser länger las nötig am Tag damit belaste.«
    »Aber dann wird das Konklave noch viele Wochen gehen.«
    »Das bezweifle ich.«
    »So?«
    »Die Fürstentümer müssen regiert werden. Du bist in dieser Hinsicht anders, Graf von Falkenberg. Du überlässt das Regieren vertrauensvoll jemand anderem über eine gewisse Zeit.«
    Ich nickte.
    »Aber die anderen Häuser – abgesehen vom Herrn des Seenlandes – sind nicht so«, meinte Amondo weiter. »Sie spielen die althergebrachten Ränkespiele. Spätestens dann, wenn sie ihre heimatliche Position als durch ihre Abwesenheit geschwächt sehen, werden sie ihre Kandidaten nach und nach zurückziehen.«
    »Also sitzen wir

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