Dorn: Roman (German Edition)
wusste oft genug, wo ich was nachzuschlagen hatte. Ein Segen für meine neue Aufgabe.
Ich ließ es in den folgenden Tagen zur Gewohnheit werden, nicht mit dem Rest der Hohen Häuser zu speisen, sondern meist allein oder in kleiner Runde mit Hermelink und Lemander, um mir die Ergebnisse des Tages berichten zu lassen. Doch das Konklave schien nur schleppend voranzukommen. Immerhin hatte Silena von Lilienbach ihren Kandidaten zurückgezogen, einen gewissen Hauptmann Beverold. Aber das überraschte kaum, da es sich bei Beverold nicht um ein Familienmitglied handelte. Alle Familienmitglieder aus Hohen Häuser hingegen waren noch im Spiel. Auch Alens Kandidat, der Bürgermeister von Pjern. Entlastungen der Debatten im Konklave waren also wohl nicht in Sicht.
Am Ende eines Tages war ich völlig geschafft. Ich schlief wieder besser und natürlich auch sehr komfortabel, bevor es bei Tagesanbruch wieder hinausging.
Besonders dankbar war ich dem Orden der Steinernen Hand. Ihre Garde war höflich und vor allem unauffällig. Sie schätzten meine Privatsphäre, ließen aber niemals einen Zweifel daran aufkommen, dass sie im Ernstfall schnell und entschlossen handeln würden. Kurz und gut, man fühlte sich in ihrer Gegenwart absolut sicher und geborgen. Und das hielt mir den Rücken frei für die täglichen Geschäfte.
Am fünften Tag meiner Interims-Herrschaft, hatte ich wieder allein in meinem Gemach zu Abend gegessen. Es war einer der ersten lauen Frühlingsabende; ich hatte die Tür zum Balkon geöffnet und lehnte im Türrahmen, um nach Osten über die Bucht und das Flussdelta bis hin zu den Sümpfen von Leith zu blicken. Die Aussicht war unglaublich. Wenn ich mich weit über die Brüstung beugte, konnte ich sogar bis nach Norden schauen und bei Tag den Totenhügel vor der Stadt sehen, wo Menschen und Elben einst ihre Gefallenen begraben hatten. Dunkel zeichnete er sich als Erhebung ab. Man hatte seinerzeit viele Wagenladungen großer und schwerer Steine von den Klippen bis dorthin auf das ehemalige Schlachtfeld vor der Stadt gekarrt. Der große Berg von Leichnamen sollte erst unter Stein und Geröll und im Laufe der Zeit von Gras und sonstigem Bewuchs begraben werden.
Die Geräusche der Stadt drangen zu mir herauf. Gedämpft zwar, aber das hektische Treiben in den Gassen war doch deutlich wahrzunehmen. Ich hielt einen Becher hellen Beerenweins in der Hand, der in der Nähe von Ammhausen gekeltert worden war und nippte in lockeren Abständen daran. Ich war dabei, den Tag ausklingen zu lassen ohne an all die Verpflichtungen zu denken. Insgeheim hoffte ich, das Konklave würde zu einem Ende kommen und ich könnte dieser Stadt endlich wieder den Rücken kehren und …
Es klopfte.
»Ja?«
Eine Gardistin des Ordens betrat den Raum.
»Besuch, Herr«, sagte sie knapp.
Ich seufzte. Ja, immerzu wollte jemand irgendetwas.
»Ist in Ordnung«, gab ich zu verstehen, ohne hinzusehen und nippte wieder an dem hellem Ammhausener.
Ich hörte Schritte und wand mich um.
Da stand Ellyn von Gamar mitten in meinem Gemach. Sie trug ein dunkelgrünes, enganliegendes Kleid. Beinahe etwas zu dünn für den Frühlingsabend, aber auf der anderen Seite war sie aus dem Norden von Gamar sicherlich andere Temperaturen gewöhnt.
»Majestät«, nickte sie mir zu und ein flüchtiges Grinsen huschte über ihr Gesicht.
»Bitte nicht«, sagte ich ernst. »Ich stehe doch noch nicht einmal zur Wahl.«
»Und dennoch hast du dieses Amt zur Zeit inne«, entgegnete sie. Einen wahren Kern hatte ihre Aussage.
»Etwas, das deinem Vater sicherlich alles andere als recht ist«, versuchte ich.
Doch sie winkte ab.
»Ach«, sagte sie. »Mein Vater ist aufbrausend.«
»Was du nicht sagst.«
»Ich bin nicht wie mein Vater.«
»Das glaube ich dir sogar. Aber verrate mir: Warum bist du eigentlich hergekommen?«
»Um zu reden.«
Das hatte ich mir schon gedacht. Weswegen sollten die Leute sonst zu mir kommen? Dennoch war es irgendwo bemerkenswert, dass ein Mitglied der Familie von Gamar den Markgrafen von Falkenberg freiwillig aufsuchte, um ein Gespräch zu führen. Ich beschloss also, es vorsichtig anzugehen.
»Worüber möchtest du denn reden?«, fragte ich, so zuvorkommend, wie es mir nur irgend möglich war.
»Ich würde gerne wissen, wie es so ist«, gab sie von sich. Ich musste daraufhin für einen Augenblick wohl recht verwirrt geguckt haben, da sie hell auflachte.
»Entschuldige«, grinste sie. »Vielleicht sollte ich mich besser verständlich
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