Dorn: Roman (German Edition)
offensichtlich ein Zeitgenosse mit ziemlich finsteren Absichten. Möglicherweise hatte er wirklich getan, was Lia sagte. Aber das waren alles Behauptungen, die ziemlich ungeheuerlich waren und deren Tragweite ich bloß erahnen konnte.
Was war, wenn es stimmte? Welchen Vorteil könnte ein Elb daraus ziehen, wenn seine Leute ihre Stimmen verloren hätten? Und vor allem: Konnte ich mehr tun, als dem Elbenmädchen einfach zu glauben? Konnte ich irgendwie beweisen, was Lia behauptete?
Ja, ihr war dieser Schekich auf den Versen und ja, diese Nollonin waren mehr als unheimlich. Aber noch hatte ich keinen Beweis dafür, dass die Elben von Quainmar verstummt waren.
Und was brachte ausgerechnet jemanden wie Serion von Gamar dazu, sich einen Elben als Berater einzustellen? Es war aus meiner Sicht kaum damit überein zu bringen, dass Serion stets betont hatte, wie zuwider ihm Elben waren.
Das passte alles hinten und vorne nicht! Wie ein Mosaik, dessen Steine sich nicht zu einem Ganzen fügen wollten.
Ich konnte Linus nicht einfach auf die Behauptung Lias hin festsetzen. Und wusste auch nicht, ob ich das wollte. Angesichts des Konklaves und jähzorniger Menschen wie Serion, galt es unbedingt die Balance zu finden. Streitende Markgrafen konnte niemand gebrauchen.
Unruhig wälzte ich mich herum. Irgendwann fand ich einen kurzen Erschöpfungsschlaf, doch bald trieb es mich wieder aus den Federn. Der Kopf arbeitete fieberhaft, sobald ich auch nur ein wenig mehr dämmerte als schlief.
Ich stand auf, hüllte eine Wolldecke um meine Schultern und trat auf meinen Balkon. Erlenfangs Scheide lehnte ich in greifbarer Nähe an den Türrahmen. Die nächtlichen Heimsuchungen von Schekich hatten mich vorsichtig werden lassen. Zwar war ich überzeugt, dass der Orden der Steinernen Hand niemanden heimlich in diesen Palast schleichen lassen würde. Aber sollte sich Lias Behauptung bestätigen, dass Schekich ein von Linus ausgesandter Häscher war, konnte ich mir nicht mehr sicher sein, dass der Mann auch außerhalb der Mauern blieb. Wo auch immer er war, ich hatte seinen Groll auf mich gezogen. Denn ich hatte seinen Stolz verletzt, indem ich ihm widerstanden hatte.
Er wusste nicht, dass ich nach den Geschehnissen des Verlustedikts über die fünf Städte alles daran gesetzt hatte, um niemals wieder wehrlos zu sein. Große Summen waren in eine Ausbildung als Schwertfechter geflossen. Diese Art der Körperbeherrschung hatte mir geholfen, mich und mein Leben zu kontrollieren und mich nach dem Verlust von Esja und meinen Eltern nicht in den Abgrund stürzen zu lassen. Ich hatte Lehrer aus dem gesamten Reich und auch aus dem Süden kommen lassen. Jahre der Konzentration und Übung hatte ich darin investiert, um mir meiner Haut sicher zu sein. Das Schwert Erlenfang unterstützte mich dabei, so gut es ging. Seine Klinge war lang, sehr schmal und leicht aber dennoch biegsam und stabil. Beinahe wie ein zu breit geratenes Rapier, nur wesentlich widerstandsfähiger. Ich wusste nicht, wer dieses Schwert an welchem Ort geschmiedet hatte, doch war es ein wahrer Schatz. Nie hatte ich Turniere bestritten oder mich anderweitig gemessen. Doch die Schritte, Schwünge und Tricks meiner Ausbilder hatte ich nie aufgehört im Stillen zu üben.
Ich streifte die Decke von meinen Schultern und zog Erlenfang aus seiner Scheide. Barfüßig und mit bloßem Oberkörper nahm ich eine Defensivhaltung ein, die mich einer meiner Meister aus dem fernen Lao gelehrt hatte. Ich fixierte die Flamme einer Kerze auf einem mannshohen Ständer, setzte mit dem Sprungbein zurück, fühlte, wie die Klinge zu einer Verlängerung meines rechten Arms wurde.
Ich atmete aus, begann die kurze Schrittfolge, drehte die geplante Pirouette, deren Schwung ich nutzte, um nach Dreiviertel der Drehung Erlenfangs Klinge in einem besonders schnellen Schwung aus dem Ellenbogengelenk sausen zu lassen.
Dann blieb ich stehen, atmete wieder ein und fixierte die Kerze erneut. Mit Erlenfang in meinem durchgestreckten Arm stieß ich sachte an das oberste Viertel der Kerze. Es fiel vom Rest der Kerze herunter auf den Boden, die Flamme erlosch. Ich hatte die Kerze in einen Stumpf verwandelt. Er endete in einem glatten, waagerechten Schnitt.
Der geschäftliche Teil des Tages wartete und er sollte mich nicht beruhigen. Ganz im Gegenteil.
Mir wurde eine Gesandtschaft der Harjenner angekündigt. Ein Volk aus harten Männern und Frauen, das die Inselkette im nördlichen Meer bewohnte. Ihre Lebensführung unter
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