Dornen der Leidenschaft
Gefühle vor ihm zu verbergen. Wie entsetzlich wäre es, wenn er ihre wahren Empfindungen für ihn entdeckten würde, wo sie ihm doch offensichtlich so gleichgültig war!
Sie verfluchte den Tag, an dem er nach Esplendor gekommen war. Die Flamme der Leidenschaft, die seine Ankunft in Auroras Herz entzündet hatte, hatte noch ein paarmal aufgeflackert und war dann gestorben. Jetzt war er ein Fremder für sie – sonst nichts.
Aurora konnte nicht schlafen. Ihr Bett kam ihr heute ganz besonders unbequem vor. Sie warf sich immer wieder herum, um eine bequemere Lage zu finden, aber sie konnte einfach nicht einschlafen.
Seufzend erhob sie sich, trat auf die Veranda und genoß den leichten Nachtwind. Sie schaute zum dunklen Himmel hinauf. Sie wurde nie müde, die Sterne der südlichen Hemisphäre zu betrachten, die so viel heller leuchteten als die Sterne über Spanien. Aber in dieser Nacht war das Firmament schwarz, kein einziger Stern war zu sehen. Aurora merkte, daß der Wind stärker wurde und ein Sturm aufkam. Aber sie ging noch nicht ins Zimmer zurück. Sie genoß diesen kostbaren Augenblick der Einsamkeit. Obwohl seit Aguilas Ankunft schon ein paar Monate vergangen waren, kam es Aurora so vor, als würde sie ihn nicht besser kennen als bei seiner Ankunft. Er war ein merkwürdiger Mann. Ihr gegenüber verhielt er sich nach wie vor wie ein vollendeter Gentleman und nützte das häufige Alleinsein mit ihr nie aus. Aber wenn er sich unbeobachtet glaubte, schaute er sie oft mit einem rätselhaften Gesichtsausdruck an.
Zuerst hatte Aurora gedacht, daß er ihr bald einen Heiratsantrag machen würde. Das wäre in ihrer beider Situation nur zu normal gewesen. Sie wußte, daß die Nachbarn über ihr Zusammenleben tuschelten und klatschten, obwohl es durch die Gegenwart von Nicolas und Lupe durchaus respektabel war. Aber Aguila hatte Aurora keinen Heiratsantrag gemacht. Und wenn er es getan hätte, hätte sie nicht gewußt, was sie ihm antworten sollte.
Sie wickelte sich fester in ihr Umschlagtuch ein. Es war kälter geworden. Schwarze Gewitterwolken rasten über den Himmel. Als Aurora gerade ins Haus zurückgehen wollte, sah sie in der Ferne eine Flamme aufleuchten. Sie brannte eine Zeitlang und ging dann aus. Aurora starrte eine Zeitlang in die Richtung, aber das Licht war nicht noch einmal zu sehen. Sie zuckte mit den Achseln. In einer der Nachbarplantagen hatte jemand eine Lampe angezündet, dachte sie. Es gab also noch jemanden, der heute nacht nicht schlafen konnte.
Plötzlich ließ der Wind nach, und die nächtliche Stille wurde nur von kaum hörbaren Fußtritten auf dem Gras unten unterbrochen.
Schritte?
Neugierig beugte sich Aurora über die Balustrade. Wer war wohl in Esplendor mitten in der Nacht unterwegs? Sie erkannte Ijada, die auf einem der kleinen Pfade in den Dschungel ging. Die Mestizin schaute zum Haus zurück, und Aurora versteckte sich schnell hinter einer Säule. Als Ijada im Wald verschwunden war, lief Aurora, ohne nachzudenken, die Treppe hinunter, verließ das Haus und folgte ihr.
Ihr Herz pochte vor Aufregung. Was hatte die Mestizin mitten in der Nacht im Dschungel zu suchen? War das Licht, das Aurora gesehen hatte, ein Signal?
Aber als sie sich durch den finsteren Wald vorantastete, gab sie schon bald den Plan auf, hinter Ijadas Geheimnis zu kommen. Sie konnte ihre eigene Hand nicht vor den Augen erkennen. Leuchtende Augen starrten sie aus der Finsternis an, und Aurora wußte nicht, in welche Richtung sie ging. Jetzt erst wurde ihr klar, wie dumm sie gewesen war. Sie hatte dünne Hausschuhe an. Wie leicht könnte sie auf eine Schlange oder ein anderes Tier treten!
Sie wandte sich um und stellte zu ihrem Entsetzen fest, daß sie von dem schmalen Pfad abgekommen war. Die schlimmsten Indianergeschichten fielen ihr ein. Selbst diese Naturmenschen gingen nachts aus Angst, sich zu verlaufen, niemals in die Wildnis. Sie mußte nach Esplendor zurückfinden. Sie mußte!
Sie stolperte über eine Wurzel und stürzte. Es kam ihr vor, als ob Tausende von Ameisen und Spinnen über ihre Haut kröchen. So schnell wie möglich stand sie wieder auf. Wenige Augenblicke nach dem ersten Donner öffnete der Himmel seine Schleusen, und es fing heftig zu regnen an. Innerhalb von wenigen Minuten war sie bis auf die Haut durchnäßt. Ihr dünnes Nachthemd und das Umschlagtuch klebten an ihrem Körper, und sie konnte sich kaum mehr bewegen. Sie hob das lange Hemd hoch und ging langsam weiter.
Plötzlich sah sie
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