Dornen der Leidenschaft
nicht den Damm verstärken müssen. Wenn Gott tatsächlich gnädig gewesen wäre, hätte der Blitz nicht in den Baum eingeschlagen, und Aurora läge jetzt nicht so reglos und totenblaß in ihrem Bett.
Ein dunkler Schatten schwebte über Esplendor. Die Renovierungsarbeiten wurden nicht fortgeführt, denn Salvador hatte darauf bestanden, daß absolute Ruhe im Haus herrschte, damit seine geliebte Frau nicht erschreckt wurde. Im ganzen Haus wurde nur noch geflüstert – niemand wagte es, el patron zu stören, der seit dem entsetzlichen Unfall seiner Frau wie von Sinnen war.
Obwohl Lupe und Nicolas ihn bei der ständigen Wache an Auroras Bett ablösen wollten, ging der Visconde nicht auf ihren Vorschlag ein. Er fürchtete, daß sie diese Welt verlassen würde, wenn er nicht jede Minute an ihrem Bett verbrachte.
Jeden Morgen und jeden Abend richtete Salvador seine bewußtlose Frau in den Kissen auf und versorgte vorsichtig die tiefe Wunde an ihrem Hinterkopf. Zu seiner großen Erleichterung schien sie gut zu heilen. Doktor Farolero hatte ihr den ganzen Kopf scheren wollen. Aber der Visconde hatte ihm das nicht erlaubt, denn er war sicher, daß Aurora über den Verlust ihrer schönen Locken entsetzt sein würde.
Da er wußte, wie sehr sie Sauberkeit liebte, badete der Visconde seine Frau täglich und parfümierte ihr die Schläfen und die Handgelenke mit ihrem Jasminparfüm.
Und immer wieder sprach er mit seiner bewußtlosen jungen Frau und erzählte ihr Geschichten, als ob sie ihn hören könnte.
Er war sicher, daß der Ton seiner Stimme bis zu ihr durchdringen und ihr die Kraft und den Willen zum Überleben geben würde.
Abends legte er sich neben sie ins Bett und wiegte sie sanft hin und her.
Diese liebevolle Pflege zehrte an Salvadors Kräften. Da er immer nur wenige Minuten schlief, hatte er tiefe Ringe um die Augen. Er hatte sich tagelang weder gebadet noch rasiert. Und Nahrung nahm er nur dann zu sich, wenn die besorgte Lupe ihn dazu zwang.
Immer wieder betete er zu Gott, Aurora nicht sterben zu lassen.
»Ich will sie von dem Eheversprechen entbinden, ich will sie dem Holländer geben, wenn sie dadurch glücklich wird. Ich will alles tun, o Gott, wenn du sie nur am Leben läßt. Sie hat mich schon einmal verlassen, in einem anderen Leben. War das nicht Strafe genug für meine Sünden?«
Irgendwie hatte sich der Gedanke in ihm festgesetzt, daß er in einem früheren Leben Don Santiago Roque y Aviles gewesen war, der Wahnsinnige, der Esplendor als ein Monument für seine geliebte Doña Arabela gebaut hatte … für Aurora. Warum sonst hatte Salvador das Gefühl gehabt heimzukehren, als er das Haus zum ersten Mal gesehen hatte? Aus welchem anderen Grund hatte er sich von Anfang an im Haus zurechtgefunden, als würde er es kennen? Was sonst machte den Visconde so sicher, daß der Schatz Don Santiagos nicht auf der Plantage vergraben war, sondern in einer Weisheit des Herzens bestand, die sich nur jenen eröffnete, die dieser Weisheit würdig waren?
Ich könnte diese Weisheit erlernen, dachte Salvador, aber nur mit Aurora …
»Aurora, Aurora«, weinte er.
Als ob er sie endlich mit seiner schmerzhaften Klage erreicht hätte, bewegte sich die junge Frau, und ihre Lider flatterten. Sie dachte, daß sie träumte, denn alles um sie herum war schwarz, und es klang so, als ob ihr Mann aus weiter Entfernung zu ihr spräche.
»Sal – Salvador«, murmelte sie verwirrt. Beim Ton ihrer Stimme machte sein Herz einen Satz.
»Aurora! Gott sei Dank, Aurora!« Er lachte und weinte und nahm sie vorsichtig in die Arme. »Du bist aufgewacht! Du lebst!«
Dann fügte er zärtlich hinzu: »Ach, querida, wie fühlst du dich?«
»Mein – mein Kopf tut weh«, stammelte sie noch sehr verwirrt.
Aber sie konnte sprechen. Das war schon etwas, und sie schien auch fähig zu sein, sich zu bewegen. Hoffnung keimte in der Brust des Visconde – vielleicht war seine Frau unverletzt und wurde gesund!
»Si, du hast einen Unfall gehabt«, erzählte er. »Es war ein Gewitter, und der Amazonas trat über die Ufer. Wir versuchten den Damm zu verstärken. Ein Blitz schlug in einen Baum ein, und ein Ast fiel dir auf den Kopf. Erinnerst du dich nicht daran? Natürlich nicht, der Arzt sagte, du würdest dich nicht an den Unfall erinnern können.«
»Nein«, sagte Aurora. Sie tastete ihren Kopf ab und fühlte den Verband. »Es wurde nur alles plötzlich so dunkel, so dunkel«, sagte sie leise. »Salvador, mach doch eine Lampe an, damit ich
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