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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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zu entkommen. Den normalen Ausgang wollte ich nicht nehmen, denn da befand sich die Theke, an der Colin stand und Getränke bestellte, und wie sollte ich ihm vernünftig erklären, was in mich gefahren war? Also wählte ich den etwas unorthodoxeren Fluchtweg zwischen zwei großen Blumenkübeln hindurch und über eine kleine Mauer, der mich in eine schmale Gasse führte, wo ich mich sofort auf die Türschwelle eines verlassen wirkenden Hauses sinken ließ.
    Warum musste dieser Typ solch einen Song spielen? Konnte er nicht etwas Flottes, Oberflächliches wählen? Warum ausgerechnet diesen hier? Immerhin nicht die Schicksalsmelodie , hatte Gianna gesagt, doch für mich hörte sie sich an wie eine Schickalsmelodie. Diese Grischa-Sehnsucht musste aufhören, ein für alle Mal. Ich verfluchte meine Seele für ihre Dummheit, ja, in diesem Punkt war sie unsäglich dumm, dümmer noch als Tessa, denn sie begriff nicht, dass Grischa ein Fremder war, den ich wahrscheinlich nicht einmal gekümmert hätte, wenn ich vor seinen Augen in Lebensgefahr geraten wäre. Er hätte allerhöchstens die Polizei oder einen Notarzt gerufen. Falls überhaupt.
    Ein trockenes Näschen stupste gegen meine Hand und wider Willen musste ich lächeln. Eine Katze. Italien war voller Katzen, jede einzelne ein kleiner Trost. Hier tröstete mich gleich ein ganzer Wurf. Sie konnten nicht älter als ein paar Monate sein. Wenn ich sie streichelte, fühlte ich ihre Rippen, so dünn waren sie. Keck spielten sie mit meinen nackten Zehen und den Riemchen meiner Sandalen, bissen sich im Schaukampf gegenseitig in den Nacken und krochen dann wieder schnurrend auf meine Beine, um sich kraulen zu lassen. Ich würde hier sitzen bleiben und warten, bis das Piano verstummt war. Oh, wann hörte er endlich damit auf …
    Doch dann, aus dem Nichts heraus, schossen die Katzen von mir weg, ohne dass ich gezuckt hätte oder ein lautes Geräusch erklungen wäre. Was hatte sie erschreckt? Sie waren nicht weit fortgerannt, sondern hatten sich lediglich verborgen; es gab in diesen Gassen genügend Verstecke. Leere Blumenkübel, Löcher in den verfallenden Mauern, Nischen und Ecken – ein echtes Katzenparadies. Ich spürte, dass sie noch da waren und sich in einer geheimen Zwiesprache darüber austauschten, ob es sich lohnen würde, zu mir zurückzukehren.
    »Pssst«, ertönte es direkt vor mir, ein sehr menschliches Pssst, aber für mich wie ein Kanonenschuss. »Nicht bewegen.«
    Ich verschluckte mich beinahe beim Luftschnappen und für einen Moment war meine Kehle vollkommen verschlossen. Trotzdem blieb ich folgsam sitzen. Jetzt aufzustehen, wäre eine Sünde gewesen, denn es hätte mich von den Augen getrennt, die mich durch die sacht im Wind wiegenden Palmwedel anschauten, voller Vergnügen und Leichtigkeit und doch von jungenhaftem Ehrgeiz erfüllt, weil sie nicht einsehen wollten, dass die Katzen vor ihnen verschwanden. Vermutlich waren die Tiere von ihrer Intensität genauso geblendet wie ich. Das war kein Blau, das war Türkis – nicht jenes eisige Türkis, das Colins Augen zeigten, wenn die Sonne vom Himmel brannte, sondern natürlicher und trotzdem einzigartig in seiner Strahlkraft.
    Mund zu, Elisabeth, ermahnte ich mich streng. Und glotz nicht so! Beherrsche dich!
    Es half nichts. Wie gefesselt saß ich auf der Gasse und ließ den Fremden näher kommen, der mir so vertraut erschien, als wären wir miteinander aufgewachsen, und dabei trotzdem derart bemerkenswert und erstaunlich, dass ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte.
    Bäuchlings, sich weder um sein Hemd noch um seine Hose scherend (und beides sah nicht billig aus), robbte er auf mich zu. Er streckte seine Hand lang aus und ließ sie vor meinen Füßen ruhen. Nur sein Zeigefinger kratzte sanft über den Steinboden, um die Katzen aus ihren Verstecken zu locken. Ja, es war der Klavierspieler. Ich erkannte ihn nicht nur an seinen feingliedrigen Händen, sondern an all dem, was mich vorhin schon bestürzt hatte.
    Das getigerte Katerchen war am mutigsten und wagte sich als Erstes aus seinem Schlupfwinkel. Mit bebenden Schnurrhaaren und in Habachthaltung näherte es sich der ausgestreckten Hand, um vorsichtig daran zu schnuppern und sich dann mehr singend als schnurrend an ihr zu reiben. Jetzt folgten die anderen, nach und nach stahlen sie sich aus ihren Höhlen und gewannen binnen kürzester Zeit ihre Leichtigkeit zurück; es kam mir sogar so vor, als wären sie besonders kühn und wollten zeigen, was sie

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