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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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Hunde und ich, als erneut ein fernes Murmeln durch die Luft drang. Dieses Mal hatte ich keinen Zweifel mehr, dass ich es kannte, dass ich es wenigstens schon einmal gehört hatte, wenn auch nur von fern. Es kam aus einem der Appartements, dem hinteren, das man erreichte, wenn man den Pool umrundete und einen dicht bewachsenen, schmalen Torbogen durchschritt. Ich blickte den Schäferhund fragend an. Die anderen Hunde ließen ihre Köpfe wieder sinken und schlossen die Augen, nur er erwiderte meinen Blick und knurrte ein drittes Mal, fordernd, nicht drohend.
    Ich musste zu dem Appartement gehen. Als ich aufstand und mich auf den Weg machte, hatte ich das Gefühl, unsichtbar zu sein. Meine Schritte verursachten keine Geräusche, ich spürte weder den Wind noch die Wärme auf meiner Haut, nichts konnte mir Widerstand leisten. Ich war sogar in der Lage, die Schwerkraft zu überwinden, wenn ich wollte.
    Ich war eine Kreatur der Nacht geworden.
    Die Balkontür des Appartements öffnete sich lautlos, sobald ich meine Hand auf den Griff legte. Ich musste nicht einmal schieben oder dagegendrücken. Sofort ließ ich ihn wieder los und machte einen Schritt zur Seite ins Zimmer hinein, wo ich neben dem langen dunkelblauen Vorhang an der Wand stehen blieb und auf die Schlafenden im Bett blickte, deren Träume sich gerade erst zu bilden begannen, konturenlos und ohne jegliche Farben.
    Sie träumten schwarz-weiß. Sie hatten kein großes Talent darin. Diese Träume konnten nicht lange satt halten, sie taugten für die Not, aber nicht für den großen Hunger. Der Mann hatte mir den Hinterkopf zugewandt, doch das Gesicht der Frau konnte ich sehen. Ja, der bittere Beigeschmack, der mir den Appetit verdarb, stammte von ihr. Schwelende Angst und Unruhe durchwanderten ihren Schlaf. Sie witterte etwas, was sie nicht zuordnen konnte, schon die ganze Zeit tat sie es, seit sie mit ihm zusammen war, obwohl doch alles so harmonisch und perfekt schien. Er sah gut aus, war intelligent, absolvierte eine mustergültige Ausbildung, er würde Karriere machen und gutes Geld verdienen, wahrscheinlich besaß er sogar Vaterqualitäten. Er war ein rücksichtsvoller Liebhaber und machte ihr ab und zu Geschenke. Sie liebte sein jungenhaftes, verschmitztes Lächeln und das Spiel seiner dunklen Haare, sie sah ihn gerne nackt und wollte ihm nahe sein, doch wann immer sie ihn im Schlaf berührte oder zu tief in seine Augen sah, hatte sie das Gefühl, einem Fremden zu begegnen, der ihr Unheil brachte. Trotzdem war sie süchtig nach ihm. Auch jetzt berührten sich ihre Hände und kurz darauf ihre Träume, ihre Gedanken wurden eins, trennten sich wieder und ein angstvolles Stöhnen übertönte ihren gehetzten Atem. Ihre Lider zuckten.
    »Dreh dich zu mir um, Christian«, sagte ich mit der vollen Kraft meiner Gedanken. Er gehorchte sofort, schlafend. Ich ging in die Knie, um sein Gesicht ansehen zu können, in aller Ruhe und so nah, wie ich es früher nie gedurft hatte. Er war älter geworden. Um seine Augen bildeten sich die ersten dünnen Fältchen; Spuren des Lebens, die man beim flüchtigen Betrachten niemals erkennen konnte, die sich aber von Jahr zu Jahr vertiefen würden. Seine Stirn war etwas höher geworden und seine Lippen schmaler. Er war noch immer ein außergewöhnlich gut aussehender junger Mann, doch ich fragte mich, wo der Zauber geblieben war, dem ich jedes Mal, wenn ich ihn angeschaut hatte, wie in einer wehmütigen Trance erlegen war.
    Grischa Schönfeld, das heimliche Topmodel unserer Schule – nicht nur ich hatte das so empfunden, ich war eine von vielen gewesen. Schön, schöner, Schönfeld. Für mich war er sogar mehr gewesen als das. Ich konnte ihn nicht abhaken wie die anderen. Er war immer bei mir geblieben. Und jetzt … ein ganz normaler Mann, der schlief, seinen Kopf auf den braun gebrannten Unterarm gebettet, eine dunkle Strähne über den Augen, den Mund leicht geöffnet. Kein himmlisches Antlitz, sondern ein rein menschliches, fehlerhaftes und auch fehlbares Antlitz.
    »Was war es?«, fragte ich ihn wispernd. »Was hat mich all die Jahre an dich gebunden? Warum fühlte ich mich dir so nahe? Warum wollte ich immerzu bei dir sein?«
    Ich musste nicht fürchten, dass meine Worte ihn weckten. Er hörte sie nicht, und selbst wenn er sie hörte, machte es keinen Unterschied – er würde mich nicht sehen und sie für einen Traum halten. Er sah mich nicht; es war nie anders gewesen.
    Ich streckte meine Hand aus und legte sie um seine

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