Dornenkuss - Roman
Situation gemeinsam mit mir zu analysieren. Gerade hatte sie sich wieder in einen neuen Gedanken verbissen, eine Freizeitjournalistin in Hochform.
»Eines verstehe ich trotzdem nicht ganz …« Sie schaute mich im Spiegel an. Ihre Brauen kräuselten sich, als sie mit dem Finger gegen ihre Nase tippte. »Man kann jemanden nur perfekt manipulieren, wenn man Informationen über ihn hat, wenigstens Einblicke in das Seelenleben und prägende Ereignisse, am besten aus der frühen Jugend oder Kindheit. Ich hatte sie Rolf bereitwillig gegeben, in den ersten Tagen hatten wir nur geredet, sonst nichts, mein ganzes Leben habe ich vor ihm ausgebreitet. Aber du bist eigentlich nicht sonderlich gesprächig, du lässt ja nur unter Zwang was von dir raus. Oder hast du dich ihm gegenüber geöffnet und alles erzählt, was er an Informationen brauchte?«
»Das musste ich gar nicht.« Nachdem ich Tillmann von der Grischa-Komponente in diesem Spiel berichtet hatte, konnte ich nicht mehr sagen, was mich mehr zum Trudeln brachte: dass ich Angelo fast von der ersten Sekunde an ergeben war oder dass ich mich niemals ernsthaft gefragt hatte, ob er nicht konkrete Beweggründe hatte, mir all diese Dinge über das Mahrdasein zu offenbaren und dabei indirekt sogar Colin schlechtzumachen. Auf jemanden unwiderruflich geprägt zu werden, war die eine Sache und tragisch genug. Aber sich danach freiwillig das eigene Weltbild umschreiben zu lassen, war eine andere Dimension. Trotzdem berichtete ich auch Gianna von dem, was ich auf Santorin herausgefunden hatte. Denn sie hatte es richtig erkannt: Ich war niemand, der von sich aus private Dinge ausplauderte; etwas, was Nicole und Jenny stets an mir kritisiert hatten. Man müsse mir die Würmer einzeln aus der Nase ziehen. Auch Gianna war es so ergangen, als ich von Colin und seinen KZ-Erlebnissen ausgepackt hatte. Sie selbst war das komplette Gegenteil; es schien ihr ein helles Vergnügen zu sein, die privatesten Details – auch die ihres Liebeslebens – auf dem Porzellanteller zu servieren, obwohl niemand darum gebeten hatte. Insofern hatte sie den wunden Punkt gefunden. Angelo hatte das alles nur wissen können, weil er mich seit meiner frühen Jugend ausspioniert hatte.
»Das ist ja ein starkes Stück«, raunte sie, nachdem ich die wichtigsten Eckpunkte abgehakt hatte – in einem ähnlich professionell-analysierenden Ton wie sie.
»Ja, und mir wird schlecht, wenn ich darüber nachdenke.«
»Hast du das Colin schon gesagt? Nein? Ellie, du musst ihm das erzählen, es erklärt so vieles! Du musst das tun, er sollte es erfahren!«
Colin wusste sehr wohl von Grischa, er kannte sogar meine Tagträumereien von ihm. Und er hatte nie eifersüchtig darauf reagiert. Doch der Zusammenhang zwischen Grischa und Angelo war ihm nicht bewusst gewesen, wie auch? Angelo hatte mich wahrscheinlich immer dann beobachtet, wenn weder mein Vater noch Colin da gewesen war. Gelegenheiten hatte es also oft genug gegeben. Vielleicht hatten ihm auch wenige Stippvisiten genügt. Dennoch löste die Vorstellung, dass er meine Träume begafft und zugleich genährt hatte, eine elendige Übelkeit in mir aus.
»Nein, hab ich nicht. Ich habe noch gar nicht mit Colin gesprochen.«
»Elisa …« Gianna beugte sich zu mir herunter, um mir direkt ins Gesicht sehen zu können, ohne Spiegel zwischen uns. »Du musst ihm das sagen! Unbedingt! Er hat es verdient, das zu wissen. Oder willst du ihn gar nicht mehr?«
»Das ist wohl kaum die entscheidende Frage«, antwortete ich hart. »Sondern eher, ob er mich noch will.«
»Nein.« Gianna schüttelte temperamentvoll den Kopf und reckte den Zeigefinger, ihre Art und Weise, einen emanzipatorischen Vortrag zu starten. »Nein, Ellie, das ist es nicht. Diese Frage ist nur der zweite Akt. Zuerst musst du wissen, ob du ihn noch willst; das ist die entscheidende Frage. Alles andere klärt sich anschließend. Ist er dein Traummann oder nicht?«
»Traummann.« Ich grinste ironisch, aber ohne jegliche Freude. »Das kannst du laut sagen. Traummann und Albtraummann zugleich.«
»Okay, anders formuliert.« Gianna warf die Arme in die Luft. »Bebt die Erde unter dir, wenn du mit ihm schläfst?«, rief sie übertrieben pathetisch und musste im gleichen Moment über sich selbst lachen. »Oh Himmel, ich dachte nicht, dass ich so etwas mal sagen würde.«
»Na ja, sie bebt nicht, es ist eher so, als ob sie kippt und ich gleich runterfalle …«
»Runterfallen ist gut, wunderbar sogar!« Gianna
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