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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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spielte es den ewig gleichen Song ab, krachend und scheppernd: Glow von Madcon. Colin hob seine Arme und äffte spielerisch die Tanzschritte dazu nach, ganz ohne Publikum, nur für sich allein. Louis blieb stehen und äugte irritiert zu ihm hinüber. Auch ich blieb stehen. Ich kämpfte gegen die Tränen an und musste gleichzeitig lächeln, als die Bootsbesatzung Colins spöttischen Tanz bemerkte und leutselig zu ihm rüberbrüllte, zu weit weg, um Schauder oder Angst empfinden zu können. Er rief etwas zurück, ohne den Tanz zu unterbrechen, bis er sich von jetzt auf nachher wieder Louis zuwandte und ihn erneut von sich wegtrieb, das ewige Spiel aus Nähe und Flucht. Ich kannte es so gut.
    Ich wartete, bis der Kloß in meiner Kehle ein wenig kleiner wurde und Louis sich abseits genüsslich im Sand wälzte – sein schwarzes, nasses Fell würde anschließend aussehen wie paniert –, dann lief ich mit gesenktem Kinn auf Colin zu. Zuschauer würden wir keine haben; heute Nachmittag waren Gianna und ich die einzigen Badenden gewesen und auch Spaziergänger waren nur vereinzelt an uns vorbeigezogen. Jetzt, um diese späte Stunde, war niemand hier außer mir, dem Dämon und seinem Pferd.
    Ich schaute erst auf, als ich Colin so nahe war, dass unsere beiden langen Schatten miteinander verschmolzen. Hinter uns erhob sich die Sonne nur noch als dunkelrotes Halbrund über dem Berg. In wenigen Minuten würde sie der Nacht das Feld überlassen. Die Feuer im Wald waren erloschen. Keine Brandherde mehr bis auf den in meinem Herzen.
    »Na, hast du dich endlich getraut?«
    Ich spürte, wie meine Mundwinkel sich nach unten schoben, als ich meinen Kopf hob, den Bruchteil eines Millimeters, kaum sichtbar, und auch seine Lippen zeichnete ein schmerzlicher Zug, obwohl er lächelte. Nur wenige braune Punkte überzogen seine Wangen, seine Augen wurden gerade wieder schwarz und das Kupfer in seinen Haaren verlor sich zeitgleich mit dem schwindenden Licht. Ich fragte mich, ob die kleine Falte in seinem Mundwinkel jemals wieder vergehen würde oder ob ich sie für immer in sein Gesicht geprägt hatte.
    »Colin …« Ich hob meine Hände nicht und fasste ihn auch nicht an; jede Geste hätte übertrieben und gekünstelt gewirkt. »Es tut mir so leid.« Ich wollte dazu ansetzen, diesen Satz zu variieren und zu wiederholen, doch das würde nichts ändern an dem, was geschehen war. Ich konnte sagen, was ich wollte – es würde immer bei diesem einen Gedanken bleiben. Es tut mir so leid.
    Er musterte mich lange, doch ich erwiderte seinen Blick nicht. Ich konnte es nicht. Ich guckte auf seinen Mund, seine Ohren, an denen die Silberringe rotgold in der letzten Sonne glänzten, betrachtete seine weiße Haut, sein zerfleddertes Hemd und das abgewetzte Leder seines Gürtels, die nassen Hosenbeine, seine nackten, schönen Füße, aber seine Augen …
    »Ich werde nicht reden, bevor du mich nicht anschaust.«
    Ich bedeckte meine Lippen mit den flachen Händen, damit er mich nicht weinen sehen würde, wenn ich es tat, denn ich war mir sicher, dass ich eine Endgültigkeit darin erkennen würde, die mir jegliche Hoffnung für eine Zukunft nahm. Doch alles, was ich sah, war ein tiefes, ehrliches Bedauern und – Reue? Sah ich Reue?
    »Lassie …« Er zog sanft die Hände von meinem Mund. Ich erschauerte unter seiner kühlen Berührung, griff aber automatisch nach seinen Fingern, um sie wenigstens zu streifen, während sie wieder hinabsanken. »Nicht nur dir tut es leid. Mir tut es ebenfalls leid. Ich hab mich wie ein Hornochse benommen.«
    »Was – aber wieso denn du? Ich verstehe nicht …«
    »Wie hast du dich in den Wochen nach dem Kampf gegen François gefühlt, als ich nicht da war?« Colin setzte sich im Schneidersitz in den Sand, und da ich nicht wie eine Anklägerin vor ihm stehen wollte, folgte ich ihm und hockte mich ihm gegenüber.
    »Fix und fertig. Alleine. Erschöpft. Überfordert. Alles zusammen irgendwie.«
    »Wie war es nach Tessas Tod?«
    »Eigentlich genauso. Ich hab eine Pause gebraucht.«
    »Und ich Idiot setze dich unter Druck, darüber nachzudenken, mich zu töten. Das hätte ich nicht tun dürfen, es war falsch. Ich habe zu viel von dir erwartet. Und als du mich offen und ehrlich um eine Pause gebeten hattest, war es schon zu spät … Da war Angelo dir bereits begegnet und konnte sich ins gemachte Nest setzen, das ich ihm bereitet hatte.«
    »Und Charlotte …«, warf ich ein. »Das mit Charlotte war – es hat mir

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