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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ernsthaft beleidigt; etwas, was bei ihm ungefähr so oft vorkam, wie der Halleysche Komet über das Firmament kreiste.
    »Neiiin«, widersprach ich gedehnt. »Natürlich hast du auch noch gelesen und geschlafen – obwohl du nicht schlafen kannst –, nachgedacht … nachgedacht? Und Drogen ausprobiert.«
    »Drogen ausprobiert. Damit ich weiß, wie sie wirken. Das kann man sich nun mal nicht anlesen. Die synthetischen Drogen sind Mist, das hatte ich mir schon gedacht. Sie haben schon gute Effekte, aber ich glaube, sie fallen zu unecht aus, stören zu sehr unsere Körperchemie. Das könnte Tessa stutzig machen. Aber die Pilze … mit den Pilzen könnte es klappen …«
    »Was?«, fragte ich entkräftet. »Was könnte klappen?«
    »Künstliche Träume. Deine Idee! Du hast mich erst darauf gebracht, erinnerst du dich nicht?«
    Oh doch. Ich erinnerte mich. Unser Saunatag im Wald. Ich hatte laut überlegt, ob es eine Möglichkeit gäbe, Träume zu kreieren, und den Gedanken im gleichen Atemzug wieder verworfen.
    »Ich habe aber nichts von Drogen gesagt«, ermahnte ich Tillmann streng.
    »Nee. Darauf kam ich, als ich dich angeschaut hab, wie du da am Baum gelehnt und über den Stamm gestrichen hast. War fast wie eine Vision. Und genau das ist die Lösung, genau das will ich tun. Ich möchte künstliche Träume erschaffen.« Tillmann drehte sich zu mir um, um mich anzusehen, Flammen in seinen mahagonifarbenen Augen und ein zarter Triumph in seinem Lächeln. »Ich werde Tessa täuschen. Wenn sie mir den Rausch nimmt, ist nichts verloren, denn ohne die Drogen wäre er ja nicht da, oder? Sie raubt etwas, was ich gar nicht verlieren kann, weil ich es normalerweise nicht hätte. Also kann sie mich nicht verwandeln. Wenn alles gut läuft, kann ich in diesem Moment wieder klar denken und das tun, was getan werden muss, und sie ist überrumpelt. Wir können sie damit in die Irre führen.«
    Mein Mund klappte auf, als ich begriff, was er meinte. Es war ungewöhnlich, illegal und riskant – aber es barg eine bezwingende Logik. Sein Vorhaben war geradezu genial.
    »Du bist ein verflucht schlaues Kerlchen, weißt du das?«, raunte ich, obwohl das Lob eigentlich zur Hälfte mir selbst gebühren musste. Tillmanns Grinsen übertrug sich auf mich. Auch meine Mundwinkel wanderten nach oben, während mein Hirn im Sekundentakt Gegenargumente produzierte.
    »Ein Kerl, kein Kerlchen. Und übrigens ohne Schwielen an den Händen. Ich hatte anderes zu tun. Es ist nicht so leicht, diese Pilze zu züchten, ich musste die Saat in Holland besorgen, sie heil über die Grenze schmuggeln, zusammen mit dem anderen Kram. Und das alles mit meinem Vater am Steuer.«
    »Dazu diente also euer Hollandurlaub … du Sack …«
    »Och, am Meer war es auch ganz schön. Das Schlimmste war die Fahrt hierher. Ich hatte Angst, dass die Keimlinge zu viel Hitze abbekommen, das vertragen sie nicht. Und sie waren schon gewachsen. Geht bei der Wärme schnell. Außerdem wolltet ihr unbedingt durch die Schweiz fahren … wo an den Grenzen gerne mal kontrolliert wird …«
    »Und wir alle im Knast gelandet wären, wenn sie es getan hätten. Mensch, Tillmann, du hast dir wirklich eine Tracht Prügel verdient. Du hättest uns einweihen müssen! Ich finde das nicht kollegial, wie du vorgehst. Erst ausschweigen, dann Vorträge halten. Das mag ich nicht, ehrlich nicht.«
    Tillmann lachte auf. »Einweihen? Hättet ihr denn zugestimmt? Im Leben nicht. Du vielleicht, Gianna und Paul nicht. Aber auch dir hätte ich es nicht zugetraut.«
    Trotz meines Ärgers schlich sich wieder ein Grinsen auf mein Gesicht, als ich die Puzzleteile ordentlich aneinanderfügte und endlich ein Bild daraus entstand. Tillmanns Umpackerei, seine Dauerabwesenheit, sein Wunsch, allein zu sein, seine glasigen Augen – er hatte sich selbst zum Versuchskaninchen umfunktioniert, um eine Lösung für unser Problem zu finden. Mich wurmte zwar, dass er es wieder einmal in Alleinregie durchgezogen hatte, doch gleichzeitig war ich froh, weil ich nun wusste, dass sein Verhalten nichts mit mir zu tun gehabt hatte. Zumindest nicht mit seiner Freundschaft mir gegenüber. Er hatte nur in aller Ruhe in seiner Hexenküche herumwerkeln wollen.
    »Aber ist das nicht trotzdem zu riskant? Wie genau wirken die Pilze? Was weißt du über sie?«
    »Es ist auf jeden Fall weniger riskant, als gar nichts zu tun und Tessa von mir selbst nehmen zu lassen. Irgendetwas wird sie haben wollen, denn sie hat es das letzte Mal nicht bekommen.

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