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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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gehörte nicht dorthin und auch nicht zu uns! Es war verkehrt!
    Eine plötzliche Unruhe überfiel mich. Die blauen Schlieren zerstreuten sich. Die Musik war keine Melodie mehr, sondern entwickelte kreischende, schrille Höhen, die meine Haut in dünnen Schichten von meinem Fleisch zu sägen begannen.
    Ich hatte es richtig erkannt. Colin trug eine Waffe unter seinem Hemd, einen scharfen silbernen Dolch mit Verzierungen auf dem Schaft, asiatische Schriftzeichen. Was hatte das zu bedeuten? Colin saß links neben mir und trug einen Dolch. Tillmann saß rechts neben mir und trug ein Fleischermesser. Hier ging es nicht um Tessa. Es ging auch nicht darum, sie zu töten. Es ging darum, mich zu töten, mich! Colin wollte den Dolch in mein Herz stoßen und Tillmann wollte meine Augen und meine Organe entnehmen, um sie Tessa einzupflanzen, sie wollten mich ausschlachten, weil sie mich nicht mehr gebrauchen konnten, wie meine Mutter im Traum, ich war nicht mehr zu gebrauchen, sondern nur noch eine Last, ein Übel, das seine Daseinsberechtigung verloren hatte. Sie hatten alles Recht der Welt, es zu tun. Sie mussten es tun! Sie hatten endlich erkannt, was ich war. Ich war die Furie, das Ungeheuer, die Erinnye, getrieben von neidischem Zorn und unendlicher Wut, mich wollten sie loswerden, mich! Immer weiter säbelte die Musik meine Haut vom Körper und mit Entsetzen sah ich, dass keine Knochen darunter hervortraten, sondern Schuppen, eine schillernde graue Schuppenschicht, die mich von Kopf bis Fuß bedeckte und mein Blut gefror. Meine Zunge durchtrennte sich von selbst in der Mitte. Sie war gespalten. Ich würde nicht mehr sprechen, nicht um Hilfe rufen können. Denn obwohl ich böse und schlecht war, giftig sogar, wollte ich leben, ich wollte für immer und ewig leben …
    Ich schrie gellend auf, als Tillmann das Messer hob und es in meine Brust rammen wollte, konnte aber im letzten Moment ausweichen, weil ich mich kringelte wie eine Schlange. Geschmeidig rollte sich meine Schuppenhaut auf dem trockenen Laub zusammen, doch dann kam wieder die Angst um mein Leben und das Schreien, dieses gellende, kreischende Schreien, das ich weder in meiner Lunge noch in meinem Gaumen spürte, das aber meinen gesamten länglichen, wendigen Reptilienkörper erbeben ließ.
    Ich konnte nicht mehr damit aufhören, obwohl ich Luft holen musste und meine schrägen Augen mit ihren schlitzförmigen Pupillen schon aus ihren Höhlen quollen. In meiner Panik riss ich meinen Kopf zur Seite und blickte züngelnd Colin an, der ebenfalls den Dolch aus dem Gürtel gezogen hatte und seinerseits das Mordkommando übernahm. Ich bleckte meine Giftzähne, immer noch schreiend und kreischend, doch er stand auf und erhob sich zu seiner vollen Größe. Sein Schatten fiel auf mich, während ich ihn ansah und um mein Leben brüllte. Keine einzige Regung zeigte sich in seinem Gesicht, als er den Dolch weit über seinen Kopf streckte. Das letzte Abendlicht ließ die Klinge blutrot aufglänzen. Aber warum holte er jetzt schon aus? Er war noch gar nicht bei mir! Würde er den Dolch auf mich werfen? Nein, seine Finger hielten den Griff eisern fest, während die Klinge in einem eleganten Bogen nach unten wanderte, lautlos und zielsicher, nach unten auf seinen eigenen Körper zu … um sein Herz zu treffen, sein Herz!
    Wieder schrie ich, lauter und schriller, als ich es je in meinem Leben getan hatte, doch er reagierte nicht auf mich, sondern sah beinahe befriedigt auf seine Brust, wo die Klinge sich in seinen Leib versenken wollte. Er tötete nicht mich. Er tötete auch nicht sie. Er tötete sich selbst!
    Ich schoss nach vorne, um mich um die Klinge zu wickeln und ihre Wucht zu bremsen, und wenn es das Letzte war, was ich in meinem irren Schreien zu tun vermochte, doch Colin war schneller. Ohne das geringste Geräusch drang die scharfe Spitze durch seine Brust. Bläuliches Blut schoss in einer sprudelnden Fontäne in die Luft und spritzte auf meine Schuppen, ich atmete es ein, tief ein. Mein Schreien erstickte in meinem eigenen Gurgeln. Das Blut war eisig. Mein Körper erschlaffte augenblicklich. Stille breitete sich in mir aus. Ich fiel leblos auf den Boden, rührte mich nicht mehr. Eben noch hatte ich nicht sterben wollen, nun war es das Einzige, was ich mir wünschte. Tot zu sein. Denn Colin hatte sich den Dolch ins Herz gestoßen.
    Doch ich durfte hier nicht liegen bleiben, auch wenn es keinerlei Willen mehr in mir gab, mich zu regen, und ich so lange schreien wollte, bis

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