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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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lehnte. Ein Gurren drang aus ihrer Kehle – jenes Gurren, das ich so sehr an ihr gehasst hatte, nunmehr eher harmlos und ohne böse Absichten, aber immer noch lüstern. Sie sagte etwas und kicherte glucksend auf.
    Fragend blickte ich Gianna an, die verspannt in der Ecke unter der Treppe stand und es kaum schaffte, ihre Hände ruhig zu halten.
    »Er gefällt ihr«, übersetzte sie flüsternd.
    »Kein Wunder, sie hat ihn ja auch erschaffen«, entgegnete ich knurrig. Paul scheuchte uns an das andere Ende des Flurs, nur Colin ließ er dort, wo er war. Mit ausgestrecktem Arm hielt er uns in Schach, während er sich Colin zuwandte.
    »Kannst du mir helfen, sie auszuziehen? Wir müssen sie in den Salon bringen und waschen, aber ihre Gewänder müssen vernichtet werden, unbedingt. Wer weiß, was darin alles lebt.«
    »Das kann er nicht!«, blökte ich dazwischen. »Verlang das ja nicht von ihm!«
    »Wenn es einer kann, dann ich«, entgegnete Colin eisig. »Mir können Krankheitskeime nichts anhaben, euch schon.«
    »Aber wenn du nicht krank werden kannst, kann sie es doch auch nicht und somit wird sie uns nicht anstecken …«
    »Ellie, sie ist kein Dämon mehr! Und sie hat Wirte am ganzen Körper. Die Flöhe sind wohl keine Mahre, oder?«
    »Nein«, gab ich Colin widerborstig recht. »Höchstwahrscheinlich nicht.«
    Nun übernahm Paul erneut das Regiment. »Ihr geht duschen, schrubbt eure Körper ab und danach verschwindet ihr nach oben auf Tillmanns Zimmer, wo ihr auf mich wartet, alle drei. Los, Beeilung!«
    Wieder fing Tessa zu husten an. Kleine wässrige Blutstropfen stoben durch die Luft. Ich löste mich als Letzte von dem grauenvollen Anblick der würgenden Frau in unserem Flur. Gianna hatte sich bereits im unteren Bad verbarrikadiert, also folgte ich Tillmann nach oben. Mit jedem Schritt, jeder Stufe manifestierte sich in mir das Bewusstsein, dass etwas Furchtbares geschehen war und möglicherweise noch viel Furchtbareres folgen würde. Mein Herz raste und auf meiner Stirn drückten sich immer wieder beißend kalte Schweißperlen durch die Poren. Mein Gehirn betete mir ungefragt vor, was es zu verarbeiten und einzuordnen versuchte, obwohl jede Schlussfolgerung das fliehende Hetzen meines Herzens beschleunigte. Einer der Flöhe hatte mich gebissen. Ein Floh, der in den Haaren und Kleidern einer Frau aus dem Mittelalter gehaust hatte. Im Mittelalter hatte die Pest gewütet. Sie hatte die Menschen in Scharen dahingerafft, ganze Dörfer ausgelöscht, Kinder zu Waisen gemacht, bevor auch sie dem Schwarzen Tod zum Opfer gefallen waren, in den Armen ihrer verwesenden Eltern. Ich kannte mich mit den Symptomen nicht genau aus, ich wusste nur, dass es ein rasanter, erbarmungsloser Tod war. Maximal drei Tage Krankheit, dann Exitus, unter schlimmsten Schmerzen und Fieberkrämpfen.
    Taumelnd trat ich in das Badezimmer, die Hand vor den Mund gedrückt, um nicht wie ein Baby zu heulen. Tillmann hatte sich schon unter die Dusche gestellt und eingeschäumt. Ich schaffte es nicht sofort, meine Beine zu heben und zu ihm zu treten. Noch immer reagierten meine Muskeln mit Verzögerung. Doch den Flohstich fühlte ich überdeutlich. Er brannte wie Feuer. Schweigend wuschen wir uns, eilig und brutal, bis plötzlich der Strahl versiegte. Von unten hörten wir Wasser durch die Leitungen rauschen. Gianna. Wahrscheinlich trieb sie das Reinigen auf die Spitze, aber auch ich wollte gar nicht mehr aufhören, mich zu schrubben. Mit dem Bimsstein fuhr ich über meine Unterarme, obwohl sie schon zu trocknen begannen.
    »Hör auf, Ellie. Du reißt dir die Haut auf.«
    Geistesgegenwärtig, aber auffallend ungelenk nahm Tillmann mir den Stein weg und legte ihn auf das oberste Regalbrett. Dann schlang er sich ein Handtuch um die Schultern und stieg geduckt aus der Duschwanne. Seine Bewegungen wirkten verlangsamt, fast apathisch, und sein Gesicht war kreidebleich. Alle paar Sekunden räusperte er sich, um dann wie in einem spastischen Krampf zu schlucken.
    Er hockte sich auf die Kacheln und lehnte seinen Rücken gegen die Wand, schloss die Augen. Auch ich nahm mir ein Handtuch, dabei hatte der Scirocco den Dachboden derart aufgeheizt, dass mir schon jetzt wieder der Schweiß aus allen Poren brach. Doch ich hatte den Wunsch, mich zu bedecken.
    »Ich denke die ganze Zeit, ich müsste kotzen, aber ich muss nicht. Ich hab gelesen, dass man das tut, wenn man jemanden umgebracht hat.« Tillmanns Stimme klang gebrochen. Dennoch lenkten mich seine Worte ein

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