Dornenkuss
brachte mein Herz erneut zum Rasen. War ihm wirklich gleichgültig, was mit uns geschah? »Hast du vergessen, dass Mahre das Immunsystem der Menschen belasten? Es ist das Beste für euch alle, wenn ich mich von euch fernhalte, und zwar konsequent.«
»Für die anderen vielleicht. Nicht für mich«, widersprach ich zitternd. »Ich habe eine Bitte an dich. Wenn die Pest bei mir ausbrechen sollte, wenn ganz klar ist, dass ich sie habe, die Pest oder eine andere todbringende Krankheit, dann möchte ich, dass du mich verwandelst. Ich möchte die Metamorphose.«
Colin blieb wie eine Statue vor mir stehen, sah mir aber direkt in die Augen und sein Blick war so strafend und verachtend, dass ich meine Hände zu Fäusten ballte. War ihm eigentlich klar, dass man Lust bekam, ihn zu schlagen, wenn er einen so ansah?
»Du weißt wieder einmal nicht, was du sagst, Elisabeth.«
»Oh doch, das weiß ich, ich weiß es besser als jeder andere hier, vielleicht sogar besser als du. Du warst nicht krank, als sie kam und dich verwandelte, aber ich …«
»Du bist es auch nicht. Noch nicht jedenfalls.«
»Es ist ja schön, dass du über solch weitreichende medizinische Kenntnisse verfügst, um mich mit einem Blick für gesund zu erklären, aber meine Entscheidung steht, ich will lieber ewig leben und eine von euch sein, als hier elendig zu verrecken. Bitte, Colin, du musst mir das versprechen, bitte …«
»Schon wieder ein Versprechen, obwohl du deines immer noch nicht einlösen willst? Nein, Ellie.«
Colin wollte sich umdrehen, doch in meiner Not ergriff ich einen Zipfel seines Hemdärmels und hielt ihn fest. Unwillig riss er sich los, eine sehr menschliche Geste, die meine Verzweiflung nur noch steigerte.
»Du bist mir das schuldig! Ohne dich wäre das alles nie passiert! Außerdem wären damit doch alle Probleme gelöst und ich müsste nicht mehr über das Versprechen nachdenken, denn dann wären wir auf einer Stufe, das Alter würde keine Rolle mehr spielen … Mann, ich verstehe gar nicht, warum du überhaupt noch willst, dass ich über das Versprechen nachdenke! Wie kannst du das jetzt noch wollen!?«
Wieder versuchte ich, nach ihm zu greifen, weil die Angst, er könne davongehen und mich hilflos in diesem Gefängnis zurücklassen, mich in eine Klette verwandelte. Colin wich mir elegant aus. Meine Finger schnappten in die Luft.
»Mal ganz abgesehen von Tessa und dem Versprechen: Das Problem wäre damit nicht gelöst. Und jetzt verschwinde wieder nach oben und schone dich.«
»Wie soll ich mich denn schonen, wenn du so kalt und gefühllos zu mir bist? Nein, Colin, geh nicht weg, bleib hier …« Wieder griff ich ins Leere. Ich führte mich auf wie ein Mädchen, mit dem zum ersten Mal Schluss gemacht wurde und das alles versuchen wollte, um ihren Freund zu halten, ich diskutierte und jammerte, um Zeit zu schinden, ich benahm mich unreif, ich wusste das, doch ich sah keinen anderen Weg. Wenn ich betteln musste, würde ich eben betteln. Alles war besser, als ohne Gegenwehr dahinzusiechen. »Warum wäre das Problem nicht gelöst? Wir wären auf einer Stufe! Wir könnten ewig zusammen sein, für immer …«
»Weil ich dich nicht lieben würde, wenn du ein Mahr wärst. Ich liebe dich als Mensch, nicht als Mahr. Du wärst der grässlichste Mahr, den das Böse überhaupt hervorbringen könnte!«
Das saß. Seine Worte trafen mich so sehr, dass ich rückwärtstaumelte.
»Du bist ein gottverdammtes Arschloch, Colin.« Blanker Hass wallte in mir auf. »Wie kannst du so etwas sagen, jetzt, in dieser Situation?«
»Weil es die Wahrheit ist.«
»Dann finde ich eben jemand anderen, der es tut. Du bist nicht der einzige Mahr auf dieser Welt!« Wenn auch der einzige, den ich kannte. Die anderen zwei hatten wir wahlweise in den Irrsinn getrieben oder getötet. Doch es musste weitere Mahre geben, wahrscheinlich sogar hier in der Nähe, immerhin hatte Papa die Südspitze Italiens markiert auf seiner Europakarte, dick und fett, vielleicht würde ich rechtzeitig einen entdecken …
»Das wirst du nicht. Ende der Diskussion. Geh jetzt zurück ins Haus und …«
»Wie redest du überhaupt mit mir?«, schrie ich ihn an. Es war mir gleich, ob die anderen aufwachten oder nicht. »Hast du gar kein Mitgefühl, kein Mitleid? Ich sterbe vielleicht und du …«
»Elisabeth, geh ins Haus und ruh dich aus.«
Ich verschränkte meine Arme und schüttelte mit fliegenden Locken den Kopf. »Nein. Du kannst mich nicht zwingen zu sterben.«
Nun riss
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