Dornenkuss
war, und die eisige Wand, die sich während des Streits zwischen uns gebildet hatte, begann zu bröckeln. Er griff zur Seite, ohne mich anzusehen, und legte meine Hand in seine, nicht nur zärtlich, sondern auch mahnend, als würden wir etwas besiegeln.
Doch sein Hunger nahm uns die Gelegenheit, uns näherzukommen. Louis tänzelte unruhig im Garten auf und ab; er verstand nicht, wieso sein Besitzer ihn so lange allein gelassen hatte, und verlangte nach Bewegung. Colin und ich würden uns erst nach dem Treffen mit Charlotte wiedersehen. Ich musste untätig verharren, während er in der Vergangenheit wühlte und Lügen erfand, um eine Frau zu trösten, die ihn immer noch vermisste. Ich wusste nicht, wie ich bei diesen Bildern in meinem Kopf Ruhe finden sollte.
Zu meiner Verwunderung aber wurde sie mir schneller geschenkt, als ich erwartet hatte. Gianna, Paul und Tillmann waren heute Abend ebenfalls ausgegangen und noch unterwegs, das Haus empfing mich still und leer, doch es ängstigte mich nicht. Es war besser, allein zu sein, als ständig Giannas unbegründete Furcht und Tillmanns Unmut mir gegenüber fühlen zu müssen. Eine Weile hörte ich verträumt dem Summen und Röhren des Kühlschranks zu, während ich einen Rest der Nudeln von heute Mittag aufwärmte, nur ein kleiner Mitternachtssnack.
Ich brauchte nicht viel Nahrung bei dieser Hitze. Gianna und die anderen griffen seit unserer Quarantäne zu wie Sumoringer – Gianna war sogar etwas runder im Gesicht geworden, was ihr gut stand –, aber ich beschränkte mich auf Obst, Salat, viel Wasser und ein warmes Mittagessen, dazwischen allenfalls italienische Kekse und ab und zu einen Kaffee. Klapprig wurde ich deshalb nicht; das ausgiebige Schwimmen hatte meine Muskeln gestrafft und meinen Rücken biegsam und stark werden lassen.
Diese Nudeln zu später Stunde waren eine reine Genussmahlzeit, nichts gegen den Hunger. Umso mehr zelebrierte ich sie. Ich zündete mir sogar eine Kerze an und ließ das künstliche Licht aus, um keine Insekten anzulocken.
Dann nahm ich eine kühlende Dusche im Freien, legte mich mit nasser Haut in mein Bett, die Läden weit offen, und schaute in den schwarzen Sternenhimmel, bis der Skorpion neben mir auf die Wand kroch und das Lied in meinem Kopf mich in den Schlaf wiegte.
No need to laugh and cry. It’s a wonderful, wonderful life.
STIPPVISITE
The same procedure as every year, dachte ich, als ich mich am späten Nachmittag aus dem Haus stahl, während die anderen noch schlummerten, und statt Angst überwog einen Moment lang die Belustigung. Wieder einmal suchte ich an einem Sommertag verbotenerweise einen Mahr auf. Immerhin hatte ich Erfahrung in dem, was ich tat, und im Vergleich zum vergangenen Jahr konnte ich jetzt schon schwören, dass Angelo nicht rücklings über mir an der Decke hängen würde, wie Colin es getan hatte.
Als ich morgens aufgewacht war, trotz meiner Eifersucht erholt und mit einem leichten, klaren Gefühl im Kopf, war mir der kleine Zusatz wieder eingefallen, den Angelo angefügt hatte. »Bring Colin ruhig mit.« Ich hatte mich zu sehr bei der Sache mit der Tankstelle aufgehalten, um diesen Worten Bedeutung beizumessen, aber nun waren sie für mich genau die Ermutigung, die ich brauchte, um Angelo doch aufzusuchen. Wenn er Böses beabsichtigte, hätte er so etwas nicht gesagt. Nun – erst einmal wollte ich das Haus begutachten, dann würde ich weitersehen. Als weitere Vorsichtsmaßnahme hielt ich mich nicht an die verabredete Tageszeit.
Ich hatte lange überlegt, ob es gefährlicher war, morgens, mittags, nachmittags oder abends bei einem Mahr aufzutauchen. Colin konnte ich schlecht als Anhaltspunkt nehmen, er ernährte sich unregelmäßig und versuchte, bei Jagdglück so viel Traumstoff zu rauben, dass er ihn möglichst lange satt hielt, ein ständiger Wechsel aus Völlerei und Hunger. Aber die riskantesten Situationen zwischen uns hatte es abends gegeben, wenn er den Tag und die Nacht zuvor nichts oder nichts Nahrhaftes zu sich genommen hatte. Es war ein schwacher Anhaltspunkt, der vielleicht kaum etwas taugte, aber einen anderen hatte ich nicht. Außerdem kam mir die Nachmittagshitze wie ein Schutzschild vor, gerade weil sie so gnadenlos war und die Menschen lethargisch machte. Ich selbst begann sie zu mögen, fühlte mich gut darin. Es spielte schließlich nicht nur eine Rolle, in welchem Zustand Angelo sein würde, sondern auch, welche Kräfte mich beflügelten.
Ich empfand mich weder als schwach
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