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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ausschlossen?
    »Geh schlafen, Ellie«, sagte Paul autoritär. »Es ist spät.«
    »Ich bin nicht müde. Ich will noch ein bisschen draußen herumlaufen.« Es wurde doch jetzt erst langsam kühler.
    »Geh schlafen, hab ich gesagt!«
    Nein. Nein, eine solche Behandlung musste ich mir nicht gefallen lassen – es war nicht in Ordnung, dass er grundlos derart dominant mit mir umsprang. Ich kümmerte mich nicht mehr um die beiden; sollten sie doch ihre Pläne schmieden und hinter meinem Rücken über mich reden. Ich konnte es ihnen sowieso nicht recht machen. Erst hielt Paul mir vor, dass ich mich überidentifizierte, nun war ich dagegen angegangen und hatte gehandelt, anstatt mich auf die gleiche Ebene wie Gianna und Colin zu begeben, und es war auch nicht in Ordnung. Und Gianna? Sie hatte mir einreden wollen, dass die Beziehung mit Colin keine Basis habe und ich zu viel investiere, zu viel gebe. Jetzt aber, als ich endlich mal vernünftig geblieben war, warf sie mir seelische Kälte vor. Was wollten sie eigentlich? Ich hatte ein reines Gewissen; ich hatte Louis gerettet und das war ein gutes Gefühl. An diesem guten Gefühl hielt ich mich fest, ruhig atmend und darauf konzentriert, an nichts zu denken, bis meine Wut klein beigab und verschwand.
    »Komm nie wieder«, flüsterte ich. »Nie wieder. Ich brauche dich nicht mehr.«
     
    In dieser Nacht ließ ich meine Läden weit offen. All die Geschöpfe der Finsternis waren mir willkommen. Von meinem Bett aus sah ich die Geckos über die Decke der Terrasse wandern, wenn das Wetterleuchten uns allen tausendfache Schatten bescherte.
    Noch war nichts zu spät, nichts verloren. Wir würden unsere zweite Chance bekommen. Wir konnten noch einmal ganz von vorne anfangen, ohne Zeitdruck und innere Kämpfe, ohne Angst.
    Er würde es genauso wollen wie ich. Ich musste nur warten.
    Nichts anderes würde ich mehr tun.
    Nur warten, bis er bereit war, sich mir hinzugeben.

37,2 GRAD AM MORGEN
    Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküsst …
     
    Ich hatte die ganze Nacht nicht schlafen können, hatte nur mit of fenen Augen dagelegen und geträumt, wurde nicht müde dabei, sondern wacher und reiner. Ich wog nichts mehr. Ich fühlte mich schwerelos, als ich hinunter zum Strand lief und auf den Anbruch des neuen Tages wartete, die nasse Kühle des Sandes zwischen meinen Zehen und Mücken überall, die zärtlich an meiner Traumhaut tranken. Es war nicht mein Plan gewesen herzukommen. Ich fand mich nur hier wieder, weil ich nicht schlafen konnte, wie jede Nacht, keine Strafe, sondern eine Gnade.
    Und so saß ich, zufrieden mit mir selbst, die Füße im Kies, das Herz pochend.
    Dann der Sonnenaufgang über dem glatten Wasser; ein rotes, pulsierendes Ungetüm. Zwei Schiffe kreuzten sich, weit, weit draußen, und ich bestand nur noch aus seinem Namen, einem einzigen mächtigen Wort.
    Ich wollte es nicht teilen. Das hier war für mich alleine. Ich musste nicht denken, nicht darüber reden, es nicht bewerten, nicht beschreiben, was man ohnehin sah, sondern durfte still in diesen roten Glutball starren, meine Gefühle wirr und wild.
    Da war niemand.
     
    Ruhelose, geliebte Siesta. Immerhin war ich hier oben, in diesem engen, schwülen Dachzimmer mit den gekalkten Wänden, für mich. Keiner störte mich in meiner Sehnsucht. Keiner wollte mich (dabei stören. Auf den braunen Fliesen lag ich allein, ein Buch auf den nackten Knien, das ich nicht las. Geduldig wartete ich auf die Nacht, die uns zueinanderführen würde. Ab und zu nahm ich die Wasserflasche und ließ das Plastik knacken, wenn ich trank. Die Hitze drückte durch das Dach. Sie bettelte nach mir.
    Ich hatte die Balkontür stets offen stehen, Blick in den Himmel, das Meer musste ich erahnen. Aber ich hörte es. Es war da.
    Ich konnte mich verlassen.
     
    … dass sie im Blütenschimmer von ihm nun träumen müsst …
     
    »Kennst du sie schon? Die grüne Fee?«
    »Nein. Nein … Was ist das?«
    »Absinth.«
    Nur das Flackern der Kerzen erhellte sein Gesicht und seine Hände, als er den Zucker auf den Löffel legte und über ihren Flammen erhitzte, bis er schmolz. Die grüne Fee … Sie war schon jetzt überall. Immer wieder flogen Motten ins Licht, verkohlten sich ihre Flügel, kamen gerade so mit dem Leben davon und versuchten es dennoch erneut. Ich musste lächeln über ihre Dummheit. Aber ich sah ihnen gerne bei ihrem Todesreigen zu. Eine setzte sich auf den Rand des hohen, dünnen Glases, als der Zucker in die grüne

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