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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Erste in der Wartezone sein und Raum für mich haben. Als die Dame meine Papiere und das Ticket prüfte, wurde mir schwarz vor Augen, schon wieder, doch ich hielt mit starrem Lächeln durch, nahm die Unterlagen entgegen und steckte das Ticket in meine hintere Hosentasche. Die Tasche auf meiner Schulter zog mich zu Boden, tonnenschwer, obwohl nichts drin war außer ein paar Slips und einem Hemdchen. Ich schleppte sie mit in die Toilette, wo ich bleiben wollte, bis ich wieder etwas sehen konnte; dann würde ich umbuchen, zurück nach Hause fliegen und auf Angelo warten, in seinem Haus mit dem Pool. Träumend. Ruhend. Frei. So, wie ich es hätte tun sollen, wie hatte ich nur so dreist sein können, mich von ihm zu entfernen, ohne mit ihm darüber zu sprechen? Ich hatte das Band zwischen uns zerrissen, im schlimmsten Falle für immer …
    Das Wasser musste mich wach halten und mir mein Augenlicht zurückgeben, doch ich hatte nicht verstanden, dass man die Leitungen über den Becken gar nicht aufdrehen musste, und suchte verzweifelt nach einem Hahn, bis es zufällig zu laufen begann, weil es meine hektischen Bewegungen spürte, ein armseliger Strahl, der nach Sekunden wieder versiegte. Jetzt stand ich hier und hielt mein Gesicht darunter, immer und immer wieder, damit der Schwindel hinter meinen Augen sich legte und ich etwas sehen konnte … Alles um mich herum musste ich nur erahnen und erfühlen, ich sah die Welt nicht mehr. Ich war blind.
    »This is our last call. Flight number 358 to Santorini, Greece. Plane is ready to depart. Ms Sturm, please come to the information desk. This is our last call.«
    Ich realisierte nicht sofort, dass sie mich meinten, aber der Aufruf galt mir, ich war Ms Sturm, die Stimme sprach meinen Namen englisch aus, Ms Störm, ohne sch und ohne u, wie hätte ich darauf kommen sollen, dass ich gemeint war? Es klang nicht nach mir.
    Meine Stirn schlug gegen die Keramik, als ich aufstehen wollte und meine Beine sich in einem neuerlichen Krampf verdrehten. Meine Wade schlotterte, nur die rechte, doch laufen konnte ich so nicht, nicht einmal bis hinüber zur Toilettenkabine, wo ich mich einsperren und verstecken wollte vor ihren Rufen.
    Sie sollten aufhören, mich zu rufen.
    »Ms Sturm? There you are!« Es war die Frau vom Schalter, ich erkannte sie an ihrem süßen Parfum, sie war mir gefolgt, in die Toilette, das durfte sie nicht! Es war privat, es ging sie nichts an. Ich sagte etwas zu ihr, ohne mich selbst zu verstehen, eine flache Entschuldigung, dann liefen meine Beine wieder, Gleichschritt nach draußen, wo ein Stewart bereits mit strenger Miene an der Schranke wartete und mich in den Tunnel winkte. »Hurry up.«
    Ich torkelte den schmalen Gang entlang und ließ mich vom Bauch des Fliegers verschlucken, überall Paare und Verliebte, kaum Kinder oder alte Menschen. Es herrschte ausgelassene Urlaubsstimmung, jeder labte sich an der Vorfreude des anderen, mich übersahen sie, ich würde sie nur darin stören.
    Mein Platz befand sich ganz hinten, ohne Nebenmann. Vor mir schnatterten sie über die Zukunft, der Urlaub nur eine Zwischensequenz, die sie schnell wieder vergessen haben würden, danach Kind, Traumhaus, Tod. Die Frau lachte, aber sie hatte Angst, ich hörte es, sie hatte Angst wie ich, Angst, ihre Chance verpasst zu haben. Nur war meine Chance ungleich größer gewesen.
    Zweifel gehörten dazu, hatte er gesagt, womöglich waren es nur die Zweifel, die mir die Sinne raubten, und alles ein Plan; ja, es war richtig, nach Santorin zu fliegen, es fühlte sich nur nicht so an.
    War es richtig?
    Ich kannte mich selbst nicht mehr.
    Anderthalb Stunden später der Landeanflug. Das Schwarz vor meinen Augen war gewichen, während ich apathisch auf meinem Sitz verharrt hatte. Ich konnte durch das kleine Fenster hinab auf das Meer blicken, dem ich endlich wieder näher kam, Gott sei Dank. Wir nahmen Kurs auf eine karge dunkelbraune Insel mit weißen Dörfern, die an ihren Steilküsten klebten, sie sahen aus wie frisch gefallener Schnee; im ersten Moment dachte ich sogar, es sei Schnee. Der Flieger legte sich schräg, bis vor uns eine aberwitzig kurze Landebahn direkt neben dem Meer auftauchte, abgetrennt nur durch einen Maschendrahtzaun. Doch dann traf uns eine Böe, seitlich, sie schüttelte uns durch, irgendwo fiel ein Gepäckstück aus den Klappen, das Flugzeug nahm wieder Fahrt auf und jagte mit brüllenden Motoren nach oben.
    »No danger at all.« Die Stewardessen lächelten bemüht, saßen aber

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