Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
los, gab ihr einen Stoß zur Seite und krachte mit dem Rücken auf den altertümlichen, dunkelgrün bezogenen Lesesessel, während der gesamte Raum zu vibrieren begann und die Bücher wie in Zeitlupe aus den hohen Regalen um mich herum fielen. Selbst schwere Lederbände und Lexika trudelten durch die Luft, als habe eine überdimensionale Hand gegen sie geschlagen.
    Durch meinen Aufprall wurde die verstellbare Fußstütze des Sessels nach oben geklappt und meine Beine wie in einem Gynäkologenstuhl hochgewuchtet, eine unwürdige Haltung, die mich an eine Situation erinnerte, die ich schon einmal erlebt hatte, aber ich kam nicht darauf, wo und wann … Genau das war mir passiert, die Fußstütze eines Sessels war nach oben geschnellt, jemand war bei mir gewesen und hatte mich ausgelacht und ich war wütend auf diese Person gewesen … Aber wer? Wo und wann?
    Verdammt, das war doch jetzt nicht wichtig, ich befand mich in einem hohen runden Raum voller Bücher, die Erde bebte und noch war ich sterblich; wenn ich Pech hatte, würden sie mich unter sich begraben! Ein glänzender Bildband mit metallbeschlagenen Ecken fiel haarscharf neben meiner Schulter zu Boden, dann folgte eine Kaskade dünner Taschenbücher, die sich über meinen Kopf ergoss. Ich senkte meine Stirn, um meine Augen vor ihren Kanten zu schützen.
    Doch in dem Moment, als das Wackeln und Rütteln unter mir auch die dicken, ledergebundenen Handschriften aus ihrem Regal reißen wollte, beruhigte sich die Erde schlagartig und das Grollen verstummte so schnell, wie es gekommen war. Ich krallte mich an den Armlehnen fest und sah zu, wie ein letzter Schwung Noten durch die Luft segelte und ihre Seiten sich raschelnd öffneten, bevor sie sich zu den Büchern am Boden gesellten und wie abgeschossene Tauben liegen blieben.
    Raus hier, beschloss ich. Raus hier, und zwar ganz schnell, bevor ich wieder träge und schläfrig wurde. Ich brauchte nicht nach oben zu sehen, um meinen Verdacht zu bestätigen, ich hatte es trotz des Rumpeins und Grollens deutlich gehört und ich hatte mir auch nicht eingebildet, dass Staub auf meine Haare und in meine Augen gerieselt war. Die Decke hatte einen Riss bekommen, sie fing an, sich über mir zu öffnen. Dieses Haus war alt, womöglich bebte die Erde in diesem Landstrich öfter und irgendwann würden seine Mauern diesen Erschütterungen nicht mehr standhalten können. Vielleicht jetzt schon.
    Auf Zehenspitzen und wankend wie im Vollsuff bahnte ich mir einen Weg durch die Bücher und gelangte in den Salon. Auch er war in Mitleidenschaft gezogen worden. Geschirr war aus der offenen Vitrine gefallen und zerbrochen, ich roch ausgelaufenen Alkohol, außerdem waren beide Gardinenstangen aus ihrer Halterung gerissen worden, sodass die Vorhänge ohnmächtigen Spukgestalten gleich auf den Fliesen lagen.
    Rennen konnte ich nicht, doch immerhin brachte ich es fertig, meine Schritte trotz des ständigen Knirschens in meinen Gelenken auf ein vernünftiges und der Situation angemessenes Tempo zu beschleunigen. An der Tankstelle überprüften zwei aufgeregt palavernde Männer die Benzinsäulen und in den Häusern sprangen die Lichter an, ansonsten war alles ruhig, kein Schreien, keine Sirenen. Es war ein leichtes Beben gewesen und wahrscheinlich hatte es nicht länger als wenige Sekunden gedauert; die Menschen hier schienen das bereits zu kennen.
    Trotzdem waren auch in der Piano dell’Erba Leute wach geworden und streiften durch ihre Gärten, um sich ein Bild von dem zu machen, was mit ihrem Zuhause geschehen war. Ich grüßte sie, jeden Einzelnen, so mühselig es auch war zu sprechen. Sie grüßten nicht zurück. Lag es an ihrer Aufregung? Es herrschte zwar keine Panik, aber in diesen Minuten hatte jeder mit sich und seinem Schrecken zu tun. Menschen konnten sterben.
    Ich hatte nur eine Sorge: die Schlange. Alles andere war mir egal. Das Haus war ein Haus, mehr nicht, ich brauchte es nicht, aber die Schlange bekam Junge, der schmale Spalt, in dem sie brütete, musste heil bleiben. Ohne das Außenlicht einzuschalten – ich hatte es schon lange deaktiviert, weil es mich störte –, schob ich meine Hand in die kleine Höhle hinter dem Duschbeckenrand und wanderte mit den Fingern tastend die bröckelige Wand entlang. Auch in diesem Versteck war Staub herabgerieselt, der Boden war bedeckt davon, doch die Schlange fand ich nicht. Ich konnte nicht alles absuchen, denn weiter als bis zum Ellenbogen konnte ich meinen Arm nicht in die Höhle stecken,

Weitere Kostenlose Bücher