Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
geschweige denn hineinsehen. Ich hoffte inständig, dass die Viper das Beben lange vor mir gespürt und sich in eine sichere, geschützte Ecke verzogen hatte.
    Zu gerne hätte ich der Versuchung nachgegeben, mich in die Duschwanne zu legen und schlummernd und träumend zu warten, bis Angelo zurückgekehrt war, doch dieses Refugium hatte ich schon vor Tagen der Schlange überlassen, sie hatte ihre Ruhe nötig. Ich selbst duschte nach dem Baden sowieso nicht mehr; ich hatte mich an das Salz des Meeres gewöhnt und trug es gerne auf meiner Haut, silbrige Kristalle, die in der Sonne glitzerten.
    Widerwillig ging ich ins Haus, wo fast alles unversehrt geblieben war, lediglich ein paar Schranktüren hatten sich geöffnet, ohne dass etwas herausgefallen war. Und nun? Hinlegen und auf die Sonne warten oder meine Reise nach Santorin organisieren? Es fiel mir schon schwer, das Wort »organisieren« zu denken; die Vorstellung, es umzusetzen, überschwemmte mich mit lähmender Unlust. Wann immer ich entscheiden wollte, etwas zu tun, drifteten meine Gedanken davon, bis mein Kopf sich anfühlte, als sei er mit Watte gefüllt. Trotzdem schlurfte ich gähnend von Zimmer zu Zimmer, um ein Handy zu suchen, denn mein eigenes war ausgeschaltet und an die PIN konnte ich mich nicht mehr erinnern.
    Ich labte mich heimlich an der Vorstellung, keines zu finden und endlich ruhen zu können, als ich oben im Dachzimmer ein Gerät entdeckte. Es lag mit dem Display nach unten neben dem Bett, als wäre es jemandem versehentlich dort hinuntergefallen. Die Tastatur war nicht gesperrt. Wie man sie entriegelte, hätte ich sowieso nicht mehr gewusst.
    Bis zum Sonnenaufgang telefonierte ich. Es war eine Odyssee. Erst die Auskunft, die nicht kapierte, dass ich einfach nur wissen wollte, wo sich in Kalabrien Flughäfen befanden und dass sie mich mit ihnen verbinden sollte, dann Warteschleife beim Flughafen Lamezia Terme, stundenlang, wie es mir vorkam, schließlich die Nachricht, dass es keine Direktflüge gebe, nur über Rom, ich solle es doch in Reggio Calabria versuchen, doch das wollte ich nicht, von mir aus keinen Direktflug, wenn sie nur endlich ein Ticket für mich buchen würden. Mein Italienisch war gut genug, um mich zu verständigen, doch ich wusste auf einmal meinen Namen nicht mehr, Elisabeth, aber weiter? Wie weiter? Die Frau am anderen Ende der Leitung glaubte, ich würde mir einen Scherz mit ihr erlauben, als ich ihr Betty Blue vorschlug, bis er mir endlich einfiel, Sturm. »Sturm!«, rief ich in den Hörer, bevor eine neue Woge meine Gedanken mit sich riss und ich minutenlang nicht sortieren konnte, was die Frau sagte, und sie immer wieder nachfragte, ob ich noch da sei. »Signora!«, schallte ihre Stimme aus dem Hörer. »Signora? Tutto bene?«
    »Tutto bene«, lallte ich. Sie blieb dran, obwohl ich immer wieder in ein schwarzes leeres Nichts fiel, und als die ersten hellen Streifen durch meine Fensterläden fielen, hatte ich einen Flug nach Rom gebucht und einen weiteren nach Santorin, anders ging es nicht. Mein erster Flieger würde am frühen Nachmittag starten, ich hatte noch ein bisschen Zeit, obwohl ich nicht wusste, wie ich überhaupt nach Lamezia Terme gelangen sollte. Es war kein Auto mehr da. Ich würde trampen müssen.
    Das Packen meiner Tasche überforderte mich schon nach wenigen Sekunden; in meinem Schrank sah es aus, als hätten sich wilde Tiere durch meine Kleider gewühlt, ich fand kaum etwas Brauchbares, und was ich fand, passte nicht zusammen, die meisten Sachen waren ungewaschen und salzverkrustet, die Farben ausgebleicht und die Säume zerfranst. Nachdem ich die Kleider mit beiden Händen aus den Schrankfächern gefegt und ausgebreitet hatte, suchte ich eine einigermaßen saubere Krempeljeans und ein schwarzes Shirt heraus, zog beides trotz der Hitze an, stopfte Unterwäsche zum Wechseln in meine Tasche und kroch erschöpft auf mein Bett, wo ich liegen bleiben wollte, bis ich wieder stabil genug war, um mich auf zwei Beinen zu bewegen. Bis ich wieder denken konnte. Oben an der Tankstelle machten immer wieder Lkw-Fahrer Rast; einer von ihnen würde mich bestimmt mitnehmen.
    Mit halb geschlossenen Augen streckte ich mich lang aus, gestattete meinem Körper mit über der Brust gefalteten Händen seine Ruhe, nach der er so heftig verlangt hatte, und wartete darauf, dass die Temperaturen über 35 Grad stiegen und ich zu leben begann.

DER GÖTTER IRRFAHRT
    »This is our last call.«
    Noch einmal hielt ich die Hände unter

Weitere Kostenlose Bücher