Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
– und meinte seinen eigenen Tod. Ich wischte diesen Gedanken so schnell weg, wie er erschienen war. Das war der letzte Punkt auf der Liste und im Moment irrelevant. Erst Tessa, dann Papa, dann konnte ich an meinen Teil des Versprechens denken. Vorher nicht. Denn wenn alles gut ging, war er anschließend nicht länger von Bedeutung.
    Colin schlenderte zurück zum Tisch und gab den Blick frei auf den Garten, wo Mama sich im Regen damit abquälte, ein Loch in den lehmigen Boden zu graben. Immer wieder rutschten ihre Hände an dem schweren Spaten ab. Es sah aus, als wolle sie ein Grab schaufeln. Möglicherweise dachten unsere Nachbarn das auch. Lautlos glitt Colin auf seinen Stuhl. Eine narkotische Stille breitete sich aus. Gianna und Paul schauten Mama zu, als sei es ihnen verboten, Colins Augen zu begegnen, doch Tillmann stierte grübelnd ins Nirgendwo, als wäre er ganz mit der Lösung eines Problems beschäftigt. Der Lösung unseres Problems? Ich wunderte mich, als ich Tillmanns Sinnieren bemerkte. Colin jedoch überraschte es anscheinend nicht. Er machte den Eindruck, als habe er darauf gewartet. Tillmanns Lippen wurden schmal. Dann räusperte er sich.
    »Muss es denn ein Mahr sein? Oder könnte es auch ein Mensch sein? In der Formel ist keine Rede von einem Mahr«, sprach er seine Gedanken halblaut aus.
    Colin sah ihn lange an und ließ sich Zeit, ihn zu mustern, bevor er mit unergründlicher Miene antwortete.
    »Ihr seid eine Teufelsbrut, du und Elisabeth.«
    Tillmanns Gesicht verzog sich zu einem frechen Grinsen. Es gefiel ihm, von Colin als Teufelsbrut bezeichnet zu werden, doch meine Kopfschmerzen hinderten mich zu verstehen, was gerade vor sich gegangen war, sosehr ich auch gegen sie ankämpfte.
    »Ihr wollt nach Italien?«, wechselte Colin so abrupt das Thema, dass ich daran zweifelte, ob der kurze Dialog zwischen ihm und Tillmann überhaupt stattgefunden hatte. Bei dem Wort »Italien« lösten Gianna und Paul ihre müden Augen vom Fenster, als hätte Mamas Werkeln sie für wenige Minuten in eine Art Trance versetzt. Doch es war nicht Mama gewesen. Es war Colin gewesen. Er hatte sie ausgeschaltet. Und sie merkten es nicht einmal. Vielleicht waren solche Zustände für Paul seit François’ Befall zur Normalität geworden. Er fuhr nur noch ungern Auto, weil er abends immer öfter in den Sekundenschlaf fiel. Auch eine der vielen Spätfolgen.
    »Ja, Italien«, bestätigte Gianna mechanisch. »Mein Vater hat ein Ferienhaus, nichts Besonderes und ziemlich abgeschieden. Kaum Tourismus. In Kalabrien.« Als sie begriff, was sie da gerade gesagt hatte, schlug sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. Sie hatte uns den Joker auf den Tisch gelegt, ohne es zu wollen – weil sie unkonzentriert gewesen war.
    »Aber das ist doch genial!«, rief ich, bevor Gianna es sich anders überlegen konnte. Genau auf so etwas hatte ich gebaut. Jetzt musste sie mitkommen. Und nicht nur Paul brauchte sie, ich brauchte sie auch. Ich hätte nie gewagt, ihr das zu sagen, aber es war so. Sie war meine einzige Freundin.
    »Nein, das sehe ich nicht so«, wiegelte Gianna ab. »Der Schlüssel liegt bei meinem Vater an der Adria und ich bekomme ihn nur, wenn ich ihm endlich verspreche, dass ich einen italienischen Mann heirate und mindestens drei bambini in die Welt setze.«
    Ich kicherte, was das Zerren in meiner Schläfe vervielfachte, sodass mir vor Schmerzen beinahe übel wurde und Hitzewellen über meine Wangen rasten. Automatisch griff ich nach Colins kühler Hand und legte seine Finger an meine Stirn und ebenso automatisch strich er sanft über meine geschwollenen Adern. Dann berührte er den Schnitt auf meinem Hinterkopf. Er begann zu prickeln. Kurz sah ich vor mir, wie die Haut sich vollkommen schloss und nur eine feine weiße Narbe übrig blieb. Colin hatte mich geheilt. Ein erlöstes Seufzen floh über meine Lippen. Ich spürte, dass die anderen uns ansahen, gefesselt von unserer plötzlichen Zärtlichkeit, doch es gab nur noch uns, uns zwei. Colin und mich. Colin, dachte ich sehnsüchtig. Da bist du ja endlich … Doch ehe ich mich an ihn lehnen konnte, verwandelte sich seine Hand in einen leblosen Eisklumpen. Ich zuckte erschrocken zurück, senkte meine Lider und stemmte die Füße in den Boden, um mein Zittern zu unterdrücken, das die kalte Verachtung in seinen Augen ausgelöst hatte. Verachtung, die unser Glück verhindern sollte, um uns zu retten. Ich war dieses Spiels überdrüssig.
    »Nimm ein Aspirin oder Paracetamol,

Weitere Kostenlose Bücher