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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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durchs Feuer gehen und wieder zurück. Auch Tillmanns Miene verschloss sich, als er sie betrachtete. Sie merkten davon nichts.
    »Okay.« Gianna seufzte noch einmal. Es klang fast, als würde sie weinen. »Dann fahren wir eben nach Kalabrien.«

MANGELERSCHEINUNGEN
    »Mach hin, Ellie, und schalte endlich den Computer aus! Ich will heute noch ankommen …«
    Ich sparte mir die Mühe, Tillmann zu fragen, was er nun wieder mit mir vorhatte und wo er bitte schön ankommen wollte, und gab ihm lediglich mit erhobener Hand zu verstehen, dass er sich ein wenig gedulden müsse. Zu schnellen Reaktionen war ich nicht mehr fähig. Nach anderthalb Tagen Dauerkopfschmerzen fühlte ich mich wie gefoltert. Das Sprechen tat weh, ja, selbst das Stillliegen tat weh, weil ich keine Position fand, in der die verknoteten Muskeln in meinen Schultern sich nicht zusätzlich verkrampften. Ich hätte nie gedacht, dass Liegen so anstrengend sein konnte. Schlafen war sowieso in weite Ferne gerückt. Unter diesen Kopfschmerzen wälzte ich mich lediglich ruhelos hin und her, müde und gerädert, aber unfähig zu träumen.
    Also hatte ich mich doch wieder an den Schreibtisch gesetzt, um meine Recherchen fortzuführen. Erst hatte ich mich mit der Fauna Italiens beschäftigt, den Gedanken, über die Tierwelt Rückschlüsse auf die Mahre ziehen zu können, aber bereits nach einer halben Stunde wieder aufgegeben. Die Tierwelt Italiens kam mir gänzlich uninteressant vor. Und dass es in Apulien Schwarze Witwen gab, wusste ich schon. Nach dieser ermüdenden Recherche folgte ein kurzer Ausflug zu den Freimaurern – ohne nennenswerte Ergebnisse –, ein quälend langweiliger Artikel über das Geschlecht der Medici, zur Erholung ein paar YouTube-Clips zur Blumenriviera (mein Fernweh brachte mich fast um, als ich sie mir anschaute – nun wusste ich, warum Italien die Touristen zum Schwärmen brachte), bis ich an der Adria strandete. Dort, wo Giannas Vater lebte. Die Adria war nicht das, was ich mir unter einem Ferienparadies vorstellte – enge Liegestuhlreihen, fantasielose Bars und planierte Strände –, aber sie war allemal besser als der Westerwald und immerhin stand nun fest, dass wir zunächst an die Adria fuhren, um den Schlüssel für das Ferienhaus im Süden zu holen. Möglicherweise konnte Giannas Vater uns ja indirekt einige hilfreiche Informationen geben. Gianna war gebildet; die Chancen standen gut, dass ihre gesamte Familie es war. Es war denkbar, dass er irgendwelche alten Sagen kannte, die wir ganz anders interpretieren konnten als er. Weil wir wussten, dass es Mahre gab. Oder redete ich mir da etwas ein?
    Tillmann trat hinter mich und griff sich die kleine Europakarte von meinem Schreibtisch, die ich im Winter bei Papa im Safe gefunden hatte: eine DIN-A5-große ungenaue Abbildung, wie aus einem Atlas für Kinder ausgeschnitten. In den Ländern waren lediglich die Hauptstädte, Gebirge und großen Flüsse oder Seen verzeichnet, sonst nichts. Mehr hatte Papa mir nicht hinterlassen. Ich hatte in den ersten Nächten nach unserer Rückkehr aus Hamburg nachts, wenn Mama schlief, seine kompletten Patientenakten durchgearbeitet, in der Hoffnung, dort geheime Dokumente über die Mahre zu finden. Das einzige Ergebnis war, dass ich mich anschließend selbst reif für die Klapse fühlte. Mir war nicht entgangen, dass er neben manche Notizen ein M gesetzt und dick umkringelt hatte – vermutlich hatte er damit Patienten gekennzeichnet, die seiner Meinung nach von Mahren befallen worden waren. Es waren weniger, als ich gedacht hatte. Doch außer diesen Ms gab es nur die Landkarte. Die Kreuze waren gut sichtbar, am deutlichsten hatte er Süditalien markiert, doch sie zogen sich durch ganz Europa, vornehmlich durch die wärmeren Gefilde und meistens irgendwo am Meer. Dass es nur eine Europakarte und keine Weltkarte war, irritierte mich. Es gab sicher auch auf den anderen Kontinenten Mahre. Warum hatte Papa nicht gleich eine Weltkarte genommen? Außerdem: Italien war ein schmales Land, von Meer umgeben. Ausgerechnet dort hauste Tessa? Sie fürchtete das Meer. Aber das bedeutete auch, dass wir sicher waren, wenn wir uns direkt am Wasser aufhielten. Wäre das dann nicht auch schon das Ende unseres Vorhabens, sie anzulocken? Gut, dass das Haus von Giannas Familie sich im Hinterland befand – oder lag es doch zu nah am Meer, als dass Tessa kommen würde? Oder wäre sie sogar nach Sylt gekommen, auf eine Insel, wenn Colin und ich nur etwas glücklicher

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