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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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gewesen wären? Oh Gott, es war zum Mäusemelken, ich wusste nichts … Seufzend schaltete ich den Computer auf Stand-by.
    »Nur diese eine dicke Markierung in Süditalien?«, fragte Tillmann, nachdem er die Karte ausgiebig betrachtet hatte. Er drehte sie prüfend um, doch das würde ihn nicht weiterbringen. Papa hatte nichts auf ihr notiert. Ich hatte sie sogar schon gegen das Licht gehalten, um eine eventuelle Geheimschrift erkennen zu können. Sie geföhnt, weil ich hoffte, er habe mit Zitronensaft geschrieben und die Buchstaben würden nun braun hervortreten. Doch es blieb eine abgegriffene, dünne Europakarte mit Kreuzen. Mehr nicht.
    »Ja«, erwiderte ich knurrig. »Und ich weiß nicht mal, ob die Markierungen einen konkreten Ort meinen oder nur die Gegend oder nur das Land …«
    »Vermutlich wechseln Mahre ihren Aufenthaltsort innerhalb einer Region ständig und haben keinen festen Wohnsitz. Sonst wird die Nahrung ja langweilig.«
    »Dann hätte er sich diese blöde Karte auch sparen können!« Aufgebracht riss ich sie Tillmann aus den Händen. Er nutzte die Gelegenheit, mich am Arm zu packen, vom Stuhl zu ziehen und rüber ins Bad zu zerren.
    »Hey, was soll das?«, rief ich bockig, doch die Schmerzen in meinem Kopf machten es mir unmöglich, mich auch nur auf eine Karatetechnik zu besinnen. Erst vor dem Spiegel blieb Tillmann stehen und zeigte auf das, was wir beide dort erblickten: eine fremde, verbiesterte Frau mit dicken Lidern und Ringen unter den Augen. Geschätztes Alter zweiundvierzig.
    »Hier«, sagte Tillmann und deutete auf meine Mundwinkel. »Mach so weiter und du siehst in fünf Jahren aus wie Angela Merkel.«
    Er übertrieb, doch der Schmerz hatte bereits Spuren hinterlassen. Der Schmerz und Colins nicht vollzogener Abschied von mir. Nachdem Mama und er sich bei der Gartenarbeit verbündet hatten, war das Hämmern in meinen Schläfen so unbarmherzig geworden, dass ich mich auf mein Zimmer verzogen hatte. Ich war davon ausgegangen, dass Colin mir noch Adieu sagen würde. Tat er aber nicht. Er war weggefahren, ohne nach mir zu sehen, zusammen mit Mister X, was Rufus’ Alltag in unseren vier Wänden zwar erheblich erleichterte, für mich aber einem persönlichen Angriff gleichkam.
    Eigentlich hatte Tillmann sofort nach unserem mordlüsternen Kaffeekränzchen mit mir reden wollen, doch ich hatte ihn abgewimmelt. Nun ließ er sich nicht mehr abwimmeln.
    »Lass mich in Ruhe«, bat ich ihn grantig und wollte wieder zurück in mein Zimmer verschwinden. Aber er stellte sich in den Türrahmen. »Na gut, wenn du schon hierbleiben willst, dann erzähl mir wenigstens endlich, was du dir für Gedanken über unseren Trip gemacht hast. Denn ich recherchiere Tag und Nacht. Wir müssen dringend …«
    »Mann, Ellie, draußen ist das schönste Wetter und du hockst nur noch hier drinnen an deinem Computer!«, unterbrach Tillmann mich kopfschüttelnd. »Das bringt doch nichts!«
    »Schönstes Wetter! Das nennst du schönes Wetter?« Ich wies anklagend durch das kleine Badfenster nach draußen.
    »Für den Westerwald schon. Mehr kannst du Anfang Juni nicht erwarten. Nun komm schon mit. Komm jetzt!«
    Er nahm zwei Handtücher aus dem Badregal, sauste in mein Zimmer, stopfte sie zusammen mit meiner Wasserflasche in meinen Rucksack und stellte mir die Schuhe vor die Füße. Handtücher? Wollte er baden gehen? Es war kein Tag zum Badengehen. Der Himmel zeigte sich diesig, morgens waren sogar Nebelschwaden über dem Flüsschen aufgestiegen und im Westen brauten sich schon wieder neue Regenwolken zusammen. Dazu herrschte der übliche böige Wind, der sich heute allerdings in Grenzen hielt. Dennoch – Badewetter stellte ich mir anders vor. Vor allem, seitdem ich ständig auf Seiten mit Italiens Urlaubsangeboten versandete.
    Trotzdem folgte ich Tillmann willenlos nach unten ins Freie und aus dem Dorf hinaus in den Wald hinein, die rechte Hand an meine Schläfe gepresst. Da hatten die Bewohner ja wieder was zu gucken.
    »Gianna und Paul nicht mit?«, fragte ich ihn nach einigen Minuten im Telegrammstil, da jedes Wort eines zu viel war für mein schmerzgeplagtes Gesicht.
    »Die poppen«, meinte Tillmann kurz angebunden.
    »Bäh«, machte ich abwehrend, obwohl er damit vermutlich ins Schwarze getroffen hatte. Seitdem Paul zurückgekommen war und Gianna nichts mehr zu tun hatte, verbrachten sie die meiste Zeit zurückgezogen im Nähzimmer und ich stellte jedes Mal vorsichtshalber meine Ohren auf Durchzug, wenn ich an ihrer

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