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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Ellie«, riet Paul mir mitfühlend.
    »Hab ich schon. Zwei sogar. Nützt nichts«, entgegnete ich matt. »Geht schon.«
    Doch als Mama die Tür aufriss und zu uns stürmte wie eine Furie, brandeten die Schmerzen erneut auf, so stark, dass ich leise stöhnte. Colin übertönte es mit dem Klappern des Geschirrs, das er aufeinanderstapelte. »Ich mag dein Stöhnen«, hatte er auf Trischen zu mir gesagt. Auch das Stöhnen vor Schmerz, denn es sei dem anderen ganz ähnlich. Mamas Stimme zersprengte meine weichen, warmen Erinnerungen und das Kribbeln in meinem Bauch im Nu.
    »Wenn ihr glaubt, ich bin Hotelier, Restaurant, Katzenpension und Wäscherei zugleich, habt ihr euch getäuscht! Ist das klar?«
    »Oje«, flüsterte Gianna beschämt. »Mia, ich … oje …«
    »Ich werde euch nicht einfach so nach Italien fahren lassen, es geht hier um meinen Mann und ich habe das Recht …«
    »Kann ich Ihnen vielleicht helfen, den Baum in den Boden zu setzen, Frau Sturm? Die Erde im Westerwald ist wirklich sehr schwer und lehmig«, unterbrach Colin sie liebenswürdig und stand auf.
    »Ja, von mir aus, bitte«, erwiderte Mama konsterniert und folgte ihm wie ein Hündchen nach unten in den Garten. Fachmännisch stemmte Colin den Spaten in den Boden und hatte mit wenigen Stichen genügend Platz für die Wurzeln geschaffen, die er nicht minder fachmännisch positionierte, festigte und anschließend ein paar Äste stutzte. Die Stimmen der beiden schallten gedämpft zu uns herauf. Ich trat an die Tür, um ein paar Worte aufschnappen zu können.
    »… habe auch keine große Lust, einen 600-Kilo-Friesen durch die Hitze zu ziehen«, hörte ich Colin sagen und wunderte mich mindestens genauso wie die anderen drei über diese skurrile Gartenbegehung, die wohl in erster Linie dazu diente, gemeinsam über die ungezogenen Kinder da oben im Wintergarten zu klagen. Einträchtig schritten Mama und Colin von Beet zu Beet, an denen Colin hier und da etwas erklärte, welke Blätter zupfte, bevor er sich schließlich an der Pumpe unseres verhassten Brunnens zu schaffen machte, die jeden zweiten Tag verstopfte.
    »Er bearbeitet sie«, stellte Gianna staunend fest. Und damit meinte sie gewiss nicht die Pumpe, sondern meine Mutter. Ja, Mama wirkte nicht mehr wie eine Löwin, die ihr Junges verteidigte. Ihre Schultern entspannten sich und ab und zu lächelte sie sogar. Zum ersten Mal sah ich in aller Ruhe dabei zu, wie Colin das tat, wovon Papa immer geredet hatte: Er manipulierte.
    Ich wusste nicht, ob ich Gefallen daran fand oder nicht, aber Colin tat das für mich. Er hatte nicht lange mit uns reden müssen, um zu wissen, wie es um unser Vorhaben stand – viel besser, als Paul und Gianna es im Moment begreifen konnten. Tillmann und ich übertrumpften uns in unserer finsteren Entschlossenheit gegenseitig. Wir würden nach Italien fahren, wenn auch aus jeweils unterschiedlichen Motiven heraus. Das hatte ich Colin schon vor unserem Abschied im April gesagt.
    Jetzt brachte er Mama hoffentlich schonend bei, dass sie uns allein ziehen lassen sollte. Denn das war mein innigster Wunsch, auch wenn er mein permanent schlechtes Gewissen verschärfte. Ich mochte sie nicht dabeihaben.
    »Ihr wollt das also wirklich durchziehen, oder?«, fragte Paul gähnend, zu müde, um sich erneut aufzuregen. Er wirkte ausgelaugt. Auch ich musste mich hinlegen. Die Kopfschmerzen wurden gnadenlos. Tillmann und ich nickten, ohne etwas zu sagen.
    »Und du ziehst da mit, stimmt’s, Paul? Oh nein …« Gianna ließ seufzend ihre Stirn gegen Pauls muskulöse Schulter sacken.
    »Ich muss das tun, Schatz.« Zu hören, wie er Gianna Schatz nannte, versetzte mir einen Stich. Seit unserem Wiedersehen hatte Colin mich noch kein einziges Mal Lassie genannt. Oder »mein Herz«. Nur Ellie und Elisabeth, und das meistens in eher abfälligem oder drohendem Ton.
    »Meine Schwester hat alles aufs Spiel gesetzt, um mich zu retten. Ich kann sie nicht allein da runterfahren lassen. Tillmann auch nicht. Er hat François getestet. Beide hätten draufgehen können.«
    Ich wollte Paul und Gianna nicht anschauen, weil es wehtat, doch ich musste es tun. Eben noch hatten sie mich angesehen, mich mit Colin, fasziniert und befremdet; so wie man sich einen gruseligen, aber handwerklich gut gemachten Film ansieht. Wir waren spannend für sie. Aber Gianna und Paul waren kein Filmpaar. Sie waren echt. Sie mussten sich keine Sekunde lang verstellen, um nicht in Gefahr zu geraten, und einer würde für den anderen

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