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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schwindenden Licht. Ich fragte mich, ob die kleine Falte in seinem Mundwinkel jemals wieder vergehen würde oder ob ich sie für immer in sein Gesicht geprägt hatte.
    »Colin …« Ich hob meine Hände nicht und fasste ihn auch nicht an; jede Geste hätte übertrieben und gekünstelt gewirkt. »Es tut mir so leid.« Ich wollte dazu ansetzen, diesen Satz zu variieren und zu wiederholen, doch das würde nichts ändern an dem, was geschehen war. Ich konnte sagen, was ich wollte – es würde immer bei diesem einen Gedanken bleiben. Es tut mir so leid.
    Er musterte mich lange, doch ich erwiderte seinen Blick nicht. Ich konnte es nicht. Ich guckte auf seinen Mund, seine Ohren, an denen die Silberringe rotgold in der letzten Sonne glänzten, betrachtete seine weiße Haut, sein zerfleddertes Hemd und das abgewetzte Leder seines Gürtels, die nassen Hosenbeine, seine nackten, schönen Füße, aber seine Augen …
    »Ich werde nicht reden, bevor du mich nicht anschaust.«
    Ich bedeckte meine Lippen mit den flachen Händen, damit er mich nicht weinen sehen würde, wenn ich es tat, denn ich war mir sicher, dass ich eine Endgültigkeit darin erkennen würde, die mir jegliche Hoffnung für eine Zukunft nahm. Doch alles, was ich sah, war ein tiefes, ehrliches Bedauern und – Reue? Sah ich Reue?
    »Lassie …« Er zog sanft die Hände von meinem Mund. Ich erschauerte unter seiner kühlen Berührung, griff aber automatisch nach seinen Fingern, um sie wenigstens zu streifen, während sie wieder hinabsanken. »Nicht nur dir tut es leid. Mir tut es ebenfalls leid. Ich hab mich wie ein Hornochse benommen.«
    »Was – aber wieso denn du? Ich verstehe nicht …«
    »Wie hast du dich in den Wochen nach dem Kampf gegen François gefühlt, als ich nicht da war?« Colin setzte sich im Schneidersitz in den Sand, und da ich nicht wie eine Anklägerin vor ihm stehen wollte, folgte ich ihm und hockte mich ihm gegenüber.
    »Fix und fertig. Alleine. Erschöpft. Überfordert. Alles zusammen irgendwie.«
    »Wie war es nach Tessas Tod?«
    »Eigentlich genauso. Ich hab eine Pause gebraucht.«
    »Und ich Idiot setze dich unter Druck, darüber nachzudenken, mich zu töten. Das hätte ich nicht tun dürfen, es war falsch. Ich habe zu viel von dir erwartet. Und als du mich offen und ehrlich um eine Pause gebeten hattest, war es schon zu spät … Da war Angelo dir bereits begegnet und konnte sich ins gemachte Nest setzen, das ich ihm bereitet hatte.«
    »Und Charlotte …«, warf ich ein. »Das mit Charlotte war – es hat mir wehgetan. Ich weiß nicht, warum, aber es hat mir wehgetan …«
    »Nicht aus Eifersucht, oder?« Colin sah mich fragend an.
    »Nein. Ich sah in meine Zukunft. Das würde auch mir irgendwann widerfahren und ich würde niemals darüber hinwegkommen.«
    Colin schwieg einige Minuten. Ich wusste nicht, wo seine Gedanken waren. Vielleicht begriff er wie ich, dass nicht alles unsere Schuld gewesen war. Auch Zufälle hatten Angelo in die Hände gespielt. Einer davon war Charlotte gewesen. Und doch rührte die Tragik dieses Zufalls aus dem, was er mir angepriesen hatte und Colin verdammte: der Unsterblichkeit.
    »Ellie, ich kenne keine Angst und Panik wie du; solche Gefühle sind mir fremd, aber ich glaube, das, was ich seit Hamburg empfunden habe, kam dem nahe … Wie ein ständiges Schreien in meiner Brust.« Colin berührte mit dem Daumen beiläufig seinen Solarplexus, jene samtige Stelle, die ich so gern küsste. »Ich wusste, wie sehr ich dich im Kampf gegen François verletzt hatte und dass ich von nun an dabei zusehen musste, wie du mir entgleiten würdest.«
    »Aber … aber das hatte ich nie vor! Nie!«, entgegnete ich aufgebracht. »Ich wollte dir nicht entgleiten, ich wollte das Gegenteil davon!«
    »Lassie, ich hab dir in den Bauch getreten, dich beinahe ertränkt, deine Finger mit meinem Stiefelabsatz zermalmt. Das hast du doch nicht vergessen, oder?«
    Nein, das hatte ich nicht. Ich glaubte auch nicht, dass man so etwas überhaupt irgendwann vergessen konnte. Aber es hatte seinen Sinn gehabt. Es sei denn, das, was Angelo angedeutet hatte, stimmte und es hätte andere Möglichkeiten gegeben, den Kampf zu bestehen. Eine davon hatte sich in mir festgebissen wie eine Zecke. Dass Colin sich statt an Zootieren nicht an unschuldigen Menschen satt getrunken hatte, verstand ich inzwischen wieder – vor allem nach dem, was Morpheus mir über ihn erzählt hatte. Aber warum hatte Colin ausgerechnet mich als Gefühlsbrutstätte

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