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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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benutzt? Warum nicht sich selbst?
    »Hättest du denn nicht deine eigene Wut und deinen Zorn nehmen können, um François zu vergiften?«, sprach ich meine Gedanken aus, ohne auf seine Frage zu reagieren. Er kannte die Antwort sowieso.
    »Es hätte nicht funktioniert. Das dachte ich jedenfalls. Nur menschliche Gefühle zeigen bei Mahren Wirkung. Ich will es damit nicht schönreden, aber ich befand mich in einem klassischen tragischen Konflikt. Ich hatte die Wahl zwischen Scheiße und noch mal Scheiße.«
    Ich grinste schwach, obwohl das, was Colin sagte, nicht ansatzweise komisch war. Doch ich hatte ihn viel zu lange nicht mehr reden gehört. Ich liebte diese eigenartige Kombination aus gesetztem, vornehmem Stil, feiner Ironie und Kraftausdrücken.
    »Ich hätte mich gegen den Kampf entscheiden und Pauls Tod provozieren können. Damit hättest du nicht leben können. Das hättest du mir nicht verziehen, oder? Die andere Variante bedeutete, dich dazu zu benutzen, François raubunfähig zu machen, und euer aller Leben zu gefährden. Du warst die Einzige, die ich gut genug kannte, um es auf die Spitze zu treiben, aber ich wusste, dass ich damit einen Keil zwischen uns schlage. Wir hatten keine Möglichkeit, es gut zu machen, Ellie. Wir konnten es nur schlecht machen. Ich konnte es nur schlecht machen. Ab da wusste ich, dass ich dich verlieren würde … und musste dabei zusehen. Es hat mich beinahe in den Wahnsinn getrieben.«
    Ich wollte ihm widersprechen, doch ich konnte es nicht. Es wären Lügen gewesen. Dennoch hätte ich mich wieder dafür entschieden, meinen Bruder zu retten. Wieder und wieder und wieder. Es war immer noch die kleinere Scheiße von beiden unseligen Varianten.
    »Denkst du denn jetzt anders darüber? Du hast eben gesagt, dass du dachtest, es würde funktionieren, François mit meinen Gefühlen zu vernichten. Hat es das etwa nicht?«
    Colin neigte abwägend den Kopf. Eine dunkle Strähne fiel tanzend über seine Brauen. »Ich bin mir nicht sicher. Ich hatte François im Kampf das Auge herausgerissen. Nun habe ich gesehen, wie du Angelo geblendet hast und ihn damit raubunfähig machtest … ihm seine Kraft nahmst. Vielleicht war das mit dem Auge der entscheidende Punkt. Ich weiß es nicht. Umso mehr bereue ich, was ich dir angetan habe.«
    »Warum hast du dann ausgerechnet in diesem Moment damit angefangen, ständig von deinem Tod zu sprechen?«, fragte ich gefasst. »So etwas ist nicht besonders beziehungsstabilisierend.«
    »Weil du mich noch liebtest. Die Formel …« Colins Miene verdüsterte sich. »Die Formel hatte etwas mit Liebe zu tun. Liebe war die Grundlage dafür. Das wusste ich früher schon und weiß es jetzt noch. Mehr allerdings nicht mehr. Sie ist mir entglitten.«
    Weil du mich noch liebtest … Ja, er erinnerte sich richtig. Nun entsann auch ich mich wieder. Nicht an alles, aber an diesen ersten Teil. Es kann nur töten, wer dich liebt. Aber wie? Wie musste er es tun? Ich versuchte, meine Erkenntnis vor Colin zu verbergen, doch er sprach bereits weiter, ohne mich dabei anzusehen.
    »Sobald du aufhörtest, mich zu lieben, würdest du es nicht mehr tun können. Dann würde es niemand mehr tun können. Sie war weg. Nur du kanntest sie noch. Auch Paul, Gianna und Tillmann hatten sie vergessen. Ich glaube sogar, du hast sie ihnen geraubt, weil du sie niemals gegen mich anwenden wolltest. Kann das sein?«
    Ich antwortete nicht. Ja, mir war wohl alles zuzutrauen, selbst solche Dinge. Ich hatte bereits mahrische Züge angenommen, die sich in Kleinigkeiten gezeigt hatten. In einem war ich mir ohnehin sicher: Ich hatte den Zettel vernichtet, auf dem ich die Formel notiert hatte. Und ich hatte in Grischas Träume sehen, ihn sogar beeinflussen können. Wie ein Dämon war ich in sein Zimmer getreten. Es lag nahe, dass ich Paul, Gianna und Tillmann derart unter Stress gesetzt hatte, dass sie gewisse Dinge vergessen hatten. Auch die Formel.
    Colin wusste inzwischen also, dass ich ein Archetypus war; Morpheus musste es ihm gesagt haben. Vielleicht hatte er es sogar schon immer gespürt. Doch reden wollte ich darüber nicht. Es ergab keinen Sinn. Ich hatte mich für das Menschsein entschieden, nicht für die Welt der Mahre.
    »Hörst du mir noch zu?«, fragte Colin behutsam. Ich nickte. Seitdem ich wieder zuhören konnte, tat ich es aufmerksamer denn je. »Ich weiß, dass meine Haltung für dich schwierig nachzuvollziehen ist, aber der Gedanke an die Ewigkeit war unerträglich für mich. Ich

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