Dornenkuss
Haar.
»Scusa, ich bin keine gute Trösterin, dafür ist mein Busen zu klein. Aber es kommen weitere Sommer, wir können wieder hierherfahren, wann immer du willst, ohne dass Angelo uns dazwischenfunkt! Das verspreche ich dir. Und wenn wir gerade dabei sind, uns selbst zu kasteien: Ich hab mich beschissen verhalten nach Tessas Tod, das weiß ich auch und ich bin nicht stolz drauf. Du hättest mich gebraucht. Erst bin ich durchgedreht wegen der Pest, total durchgedreht, ehrlich, und dann übertrug sich das Ganze auf dich. Ich weiß bis heute nicht genau, warum. Colin gegenüber verhalte ich mich nach wie vor ungerecht. Wir haben alle Fehler gemacht, Menschen sind nun mal fehlbar!«
»Geht’s dir denn jetzt wieder besser?« Edelmut hatte Gianna wahrlich nicht an den Tag gelegt, nachdem ich von Tessas Floh gebissen worden war, aber dass sie meinetwegen wochenlang unter Bauchschmerzen gelitten hatte, ja, sogar Angst vor mir gehabt hatte, traf mich härter. Ich wollte anderen Menschen keine Angst machen, erst recht nicht meinen Freunden.
»Viel besser. Ich hab einen gesegneten Appetit und mir war seit einer Woche nicht mehr übel. Ich hab sogar zugelegt. Ich passe in meine enge Hose nicht mehr rein … Paul meint, ich könne es gebrauchen.«
Gianna war immer noch gertenschlank, ich konnte keine zusätzlichen Rundungen erkennen, doch ihre kühnen Züge wirkten deutlich entspannter. Sie leuchtete von innen heraus und ihre Haare glänzten wie poliertes Edelholz, während meine sich schon wieder zu sträuben anfingen, obwohl wir sie gerade erst gezähmt hatten.
»Colin wird es verstehen, Elisa.« Sie reichte mir ein neues Kleenex, weil ich meines zu einem feuchten Ball zerknüllt hatte. Dann hielt sie einen Waschlappen unter den Hahn und tupfte ihn auf meine verheulten Augen. »Sprich mit ihm, bitte. Du hast eine Erklärung für dein Verhalten, eine triftige, außerdem darf jeder irren, das gehört dazu! Er ist ja auch nicht sauer auf mich, obwohl ich keine Erklärung für mein Verhalten habe außer diesem dummen Gefühl, dass ich mich von ihm fernhalten muss. Dabei habe ich ihn gern.«
»Ja, aber er hat mich geliebt … Ihr seid nur Freunde …«
»Ein Argument mehr, mit ihm zu reden. Soll ich dir Bescheid sagen, wenn er heute Abend an den Strand kommt? Überleg es dir.«
»Ja. Ja, sag mir Bescheid. Aber vorher sollte ich vielleicht … ähm … ich will mich wieder … also …« Ich deutete auf meinen Bademantel, obwohl ich nicht davon ausging, dass sich auch nur irgendetwas zwischen Colin und mir abspielen würde. Doch ich wollte keine mythische Sagengestalt mehr sein. Ich wollte wieder Ellie sein.
»Ah, ich verstehe. Klar, das machst du besser alleine.« Mit flinken Fingern räumte Gianna die Haarutensilien ins Regal. »Frühstücken wir draußen? Es ist dein Geburtstagsfrühstück. Ich hab frische Brötchen geholt.«
Ich konnte mir plötzlich nichts Köstlicheres vorstellen als ein lauwarmes italienisches Ciabattabrötchen mit Butter und Honig. Ja, ich wollte draußen frühstücken. Vielleicht würde ich sogar schwimmen gehen, wenn Gianna neben mir blieb und aufpasste, dass das Meer mich nicht davontrug. Ich musste die letzten Sonnentage ausnutzen. In Deutschland begann bereits der Herbst.
Ich nickte. »Okay, Frühstück auf der Terrasse.«
Mit klappernden Pantoletten marschierte Gianna in die Küche, glücklich, für mich sorgen und trotz aller Frauenbefreiung ein Essen für uns herrichten zu dürfen.
Niemals hätte ich sie vergessen dürfen. Niemals.
DON’T DREAM IT’S OVER
Nein. Das hier war mit meiner Fahrt nach Trischen nicht zu vergleichen. Auch vor Trischen hatte ich Angst gehabt, doch der Trip hatte einem Abenteuer geglichen, spektakulär und waghalsig, ich hatte mich ins eiskalte Nordmeer gestürzt und den Tod durch Ertrinken riskiert, um zu Colin zu gelangen. Und vorher hatte ich einem armen alten Krabbenfischer das Messer an die Kehle gesetzt, damit er mich auf die Sandbank brachte.
Jetzt musste ich nur wenige Meter zurücklegen, ungefährdet und zu Fuß, während die Sonne schien und nichts mein Leben gefährdete, und doch bedeutete es eine viel, viel größere Überwindung. Auf Trischen hatte ich mich vor dem gefürchtet, was Colin in mir ausgelöst hatte. Nun fürchtete ich mich vor den Folgen dessen, was allein in mir geschehen war. In mir und durch mich. Es wog tausend Mal schwerer.
Noch immer marterte ich mich mit Vorwürfen, obwohl mir mit jeder verstreichenden Stunde klarer wurde,
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