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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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dass ich kaum eine Chance gehabt hatte, Angelos Intrigen zu entkommen. Wir hatten ihm alle dabei geholfen, ohne auch nur das Geringste davon zu ahnen. Trotzdem war ich weit entfernt davon, mit mir selbst im Reinen zu sein. Für Colin musste mein Verhalten wie Betrug ausgesehen haben.
    »Er spielt mit Louis, beeil dich«, hatte Gianna mir eben ins Ohr geflüstert, als wir uns im Flur begegnet waren. Ich war zum circa zehnten Mal aufs Klo gegangen, einerseits vor Nervosität, andererseits, weil ich hoffte, genau diese Nachricht zu bekommen, und sie gleichzeitig fürchtete wie das Jüngste Gericht. Vielleicht war es ja tatsächlich so etwas Ähnliches wie das Jüngste Gericht. Nun würde er mit mir abrechnen.
    Gianna hatte nicht übertrieben. Ich sah die beiden schon von Weitem miteinander herumtollen. Die Hitze hatte sich zurückgezogen, es war nur noch warm und der auffrischende Wind hatte mich dazu bewegt, mir eine dünne Jerseyjacke um die Hüften zu binden. Louis jedoch belebten die kühleren Temperaturen. Der Hengst hatte seine Scheu vor dem Wasser immer noch nicht vollständig abgelegt, das erkannte ich an der Art, wie er den Kopf zur Seite warf, wenn ihm eine neue Welle entgegenrollte und Colin ihn mit ausgebreiteten Armen auf sie zutrieb, doch wenn Pferde Freude ausdrücken konnten, war er ein Musterbeispiel dafür. Colin hatte Sattel und Zaumzeug in den Sand gelegt, sodass Louis frei wie der Wind war, an seinen Herrn gebunden nur durch eine jahrelange Partnerschaft und die tiefe Überzeugung, dass allein Colin derjenige war, der ihn leiten und führen konnte. Er reagierte auf die beiläufigste von Colins Bewegungen, die Sinne stets bei ihm – selbst wenn er auf den Hinterbeinen wendete und übermütig davonpreschte, stoppte er immer wieder, um einen Blick nach hinten zu werfen und zu prüfen, ob Colin noch da war.
    Ja, er war es, unübersehbar; bis zur Hüfte stand er im Wasser und rief Louis knappe Worte in Gälisch zu, wenn er geduckt auf ihn zustürmte und zu weiteren Galoppaden animierte, in denen das Pferd nach Herzenslust buckelte und die Beine warf, bis das Discoboot röhrend seinen Kurs über die Bucht nahm und ihn so sehr erschreckte, dass er die Flucht antrat, mit hoch aufgestellten Ohren und zuckendem Schweif. Colin winkte lachend ab und rief ihm etwas hinterher, eine liebkosende Beleidigung, die Louis mit einem sonoren Schnauben kommentierte.
    Das Boot fuhr nur noch abends vorbei und auch nicht mehr täglich; die Hauptsaison war vorüber, die Hotels leerten sich. Doch auch heute spielte es den ewig gleichen Song ab, krachend und scheppernd: Glow von Madcon. Colin hob seine Arme und äffte spielerisch die Tanzschritte dazu nach, ganz ohne Publikum, nur für sich allein. Louis blieb stehen und äugte irritiert zu ihm hinüber. Auch ich blieb stehen. Ich kämpfte gegen die Tränen an und musste gleichzeitig lächeln, als die Bootsbesatzung Colins spöttischen Tanz bemerkte und leutselig zu ihm rüberbrüllte, zu weit weg, um Schauder oder Angst empfinden zu können. Er rief etwas zurück, ohne den Tanz zu unterbrechen, bis er sich von jetzt auf nachher wieder Louis zuwandte und ihn erneut von sich wegtrieb, das ewige Spiel aus Nähe und Flucht. Ich kannte es so gut.
    Ich wartete, bis der Kloß in meiner Kehle ein wenig kleiner wurde und Louis sich abseits genüsslich im Sand wälzte – sein schwarzes, nasses Fell würde anschließend aussehen wie paniert –, dann lief ich mit gesenktem Kinn auf Colin zu. Zuschauer würden wir keine haben; heute Nachmittag waren Gianna und ich die einzigen Badenden gewesen und auch Spaziergänger waren nur vereinzelt an uns vorbeigezogen. Jetzt, um diese späte Stunde, war niemand hier außer mir, dem Dämon und seinem Pferd.
    Ich schaute erst auf, als ich Colin so nahe war, dass unsere beiden langen Schatten miteinander verschmolzen. Hinter uns erhob sich die Sonne nur noch als dunkelrotes Halbrund über dem Berg. In wenigen Minuten würde sie der Nacht das Feld überlassen. Die Feuer im Wald waren erloschen. Keine Brandherde mehr bis auf den in meinem Herzen.
    »Na, hast du dich endlich getraut?«
    Ich spürte, wie meine Mundwinkel sich nach unten schoben, als ich meinen Kopf hob, den Bruchteil eines Millimeters, kaum sichtbar, und auch seine Lippen zeichnete ein schmerzlicher Zug, obwohl er lächelte. Nur wenige braune Punkte überzogen seine Wangen, seine Augen wurden gerade wieder schwarz und das Kupfer in seinen Haaren verlor sich zeitgleich mit dem

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