Dornenkuss
sein, die privatesten Details – auch die ihres Liebeslebens – auf dem Porzellanteller zu servieren, obwohl niemand darum gebeten hatte. Insofern hatte sie den wunden Punkt gefunden. Angelo hatte das alles nur wissen können, weil er mich seit meiner frühen Jugend ausspioniert hatte.
»Das ist ja ein starkes Stück«, raunte sie, nachdem ich die wichtigsten Eckpunkte abgehakt hatte – in einem ähnlich professionellanalysierenden Ton wie sie.
»Ja, und mir wird schlecht, wenn ich darüber nachdenke.«
»Hast du das Colin schon gesagt? Nein? Ellie, du musst ihm das erzählen, es erklärt so vieles! Du musst das tun, er sollte es erfahren!«
Colin wusste sehr wohl von Grischa, er kannte sogar meine Tagträumereien von ihm. Und er hatte nie eifersüchtig darauf reagiert. Doch der Zusammenhang zwischen Grischa und Angelo war ihm nicht bewusst gewesen, wie auch? Angelo hatte mich wahrscheinlich immer dann beobachtet, wenn weder mein Vater noch Colin da gewesen war. Gelegenheiten hatte es also oft genug gegeben. Vielleicht hatten ihm auch wenige Stippvisiten genügt. Dennoch löste die Vorstellung, dass er meine Träume begafft und zugleich genährt hatte, eine elendige Übelkeit in mir aus.
»Nein, hab ich nicht. Ich habe noch gar nicht mit Colin gesprochen.«
»Elisa …« Gianna beugte sich zu mir herunter, um mir direkt ins Gesicht sehen zu können, ohne Spiegel zwischen uns. »Du musst ihm das sagen! Unbedingt! Er hat es verdient, das zu wissen. Oder willst du ihn gar nicht mehr?«
»Das ist wohl kaum die entscheidende Frage«, antwortete ich hart. »Sondern eher, ob er mich noch will.«
»Nein.« Gianna schüttelte temperamentvoll den Kopf und reckte den Zeigefinger, ihre Art und Weise, einen emanzipatorischen Vortrag zu starten. »Nein, Ellie, das ist es nicht. Diese Frage ist nur der zweite Akt. Zuerst musst du wissen, ob du ihn noch willst; das ist die entscheidende Frage. Alles andere klärt sich anschließend. Ist er dein Traummann oder nicht?«
»Traummann.« Ich grinste ironisch, aber ohne jegliche Freude. »Das kannst du laut sagen. Traummann und Albtraummann zugleich.«
»Okay, anders formuliert.« Gianna warf die Arme in die Luft. »Bebt die Erde unter dir, wenn du mit ihm schläfst?«, rief sie übertrieben pathetisch und musste im gleichen Moment über sich selbst lachen. »Oh Himmel, ich dachte nicht, dass ich so etwas mal sagen würde.«
»Na ja, sie bebt nicht, es ist eher so, als ob sie kippt und ich gleich runterfalle …«
»Runterfallen ist gut, wunderbar sogar!« Gianna schlug ihre Faust gegen die blanken Kacheln. »Das zählt. Das ist vielleicht sogar besser als eine bebende Erde. Und es ist auch nicht so, dass du dir dabei wünschst, er würde endlich fertig werden, weil du in Gedanken schon den Einkaufszettel für nächste Woche erstellst?«
Nun musste ich kichern, obwohl mich das Thema melancholisch stimmte. »Nein, so ist es nicht.« Noch nie hatte ich mir gewünscht, Colin würde bald fertig sein. Keine Sekunde lang.
»Hach ja. Schön.« Gianna drückte die Hände in ihr Kreuz und setzte sich wieder auf den Toilettendeckel. »Mein Ex war so einer, der nicht fertig wurde. Grässlich. Nikotinbedingte Impotenz. Er konnte immer und wollte immer, aber es dauerte ewig, bis das Blümchen mal begossen wurde, wenn du verstehst, was ich meine.« Gianna machte eine undefinierbare Handbewegung, doch ich hatte verstanden und wusste, dass ich mich vor weiteren delikaten Einzelheiten nur durch eine überstürzte Flucht aus dem Badezimmer bewahren konnte. »Er ruckelte da keuchend auf mir rum und ich konnte quasi dabei zusehen, wie die lichte Stelle auf seinem Hinterkopf kahler wurde … Schön war das nicht mehr. Ach, da war fast gar nichts schön. Selbst schuld, Signora Vespucci. Wo waren wir stehen geblieben? Ellie, warum weinst du denn schon wieder?«
»Ich … ich frag mich, warum ich nicht früher diese bekloppten Gespräche mit dir geführt habe, warum ich so dumm war … ich hab dich angefeindet, du gingst mir auf die Nerven. Ich hab den kompletten Sommer verschwendet, ausgerechnet ich. Ich liebe den Sommer doch so sehr! Jetzt ist er weg, ich habe ihn verschlafen, meinen ersten Sommer im Süden, genau wie in meinen Albträumen … Es ist September!«
»Und draußen herrschen 30 Grad im Schatten«, erwiderte Gianna und strich über meinen Kopf, bevor sie mich ungeschickt in den Arm nahm. Mein Kinn knallte gegen ihre Schläfe.
»Autsch«, murmelte ich in ihr seidiges
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