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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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war es?«, fragte Colin leise. »Nur Sehnsucht? Von Anfang an?«
    »Nur? Sehnsucht kann sehr viel sein. Und sie war nicht erst in mir, seitdem ich ihn getroffen habe. Sie war schon lang vorher da.«
    »Also hatte ich nie eine echte Chance bei dir …«
    Ich schüttelte verzweifelt den Kopf und erinnerte mich wieder an Giannas Ratschlag. Du musst es ihm sagen. Er muss es erfahren! Ich sollte ihr darin vertrauen, auch wenn ich fürchtete, dass ich für Colin danach wie beschmutzt sein würde. Doch Gianna hatte mir zehn Jahre Beziehungselend voraus. Vielleicht war die Wahrheit wirklich der beste Weg. Ich holte tief Luft und begann stockend zu erzählen, was ich in Santorin erlebt und gesehen hatte, wie sich Angelos Charisma plötzlich in Grischas Züge geschlichen hatte und dass er schon immer da gewesen war, in meinem Leben, vor Colin, vor all dem, was letzten Sommer seinen Anfang genommen hatte. Colin hörte mit unbewegter Miene zu, in sich verborgen, fast abwesend. Was mochte er denken?
    »Das, was ich vorhin gesagt habe, ist das, was mich am meisten daran quält«, schloss ich nach einigen Minuten erschöpft. »Er hat auf mich immer wie ein Mensch gewirkt und nicht wie ein Mahr. Ein Mensch, der sich nur ein bisschen anders ernährt als ich. Und der ewig leben darf, ewig jung bleiben darf. Er kam mir so unschuldig vor. Ich sehne mich immer noch danach und das ist falsch und schwach und töricht.«
    »Ich glaube nicht, dass es das ist.« Colin kehrte wieder zu mir zurück. »Möchtest du wissen, wie Angelo gejagt hat?« Ich nickte beklommen. »Nach all dem, was du erzählst, kann es nur so sein …« Colin strich sich die Haare aus der Stirn und ich sah, dass seine Falte im Mundwinkel an Tiefe verlor. Das, was er dachte, schien ihm Hoffnung zu verleihen. »Angelo muss ausschließlich Träume und Erinnerungen von Jugendlichen genommen haben, von Menschen zwischen zwölf und maximal zwanzig, in Unmengen und ohne jede Rücksichtnahme. Er war immer satt. Je satter ein Mahr ist, desto menschlicher wirkt er, das kennst du schon von mir. Er war selbst so gläsern und transparent, dass die Jugendlichkeit seiner Opfer durch ihn hindurchstrahlte, und ich nehme an, dass sie es war, die du bewundert hast und nach der du dich sehnst. Nicht Angelo, sondern die Träume und schönen Gefühle jener jungen Menschen, die er beraubt hat. Sie machten ihn attraktiv und brachten Mann und Frau gleichermaßen dazu, ihn zu mögen. Reiner Diebstahl.«
    »Ach, und weißt du, was er mir erzählt hat?« Ich war plötzlich so wütend, dass meine Worte wie Pistolenschüsse durch die Luft donnerten. »Dass er nachhaltig jagt und niemandem dabei schadet und … dass du … dass du nicht zu dir stehst, weil du dich den Träumen von Menschen verweigerst und deshalb unkontrollierbar wirst! Dieser elende Lügner!«
    »Mit Letzerem liegt er gar nicht verkehrt. Es ist schwierig, sich von Tierträumen zu ernähren. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich es immer nur tue, wenn sie wach sind …« Nein, das war mir nicht aufgefallen. Aber es stimmte. Als ich dabei gewesen war, waren sie wach geblieben. »Ich möchte ihnen Gelegenheit geben, sich zu wehren. Keine gute Grundlage, um den eigenen Hunger zu stillen. Dass Angelo dir Märchen erzählt, was seine eigenen Raubzüge betrifft, war mir jedoch klar.«
    »Warum hast du ihn dann nicht einfach getötet?«
    Colin lachte verwundert auf. »Weil ich es nicht kann! Er ist älter als ich!«
    »Aber er … er hat gesagt, du wärst viel stärker als er und dadurch, dass du ein Cambion bist, könntest du ihn in der Luft zerfetzen, wenn du wolltest.«
    »Ja, eine weitere hübsche Schwindelei, um dich auf seine Seite zu ziehen. Der arme, hilflose Angelo und der böse Colin. Ich könnte es nicht, dazu ist meine Nahrung zu minderwertig, und selbst wenn, hätte es dich erst recht von mir weggetrieben. Das Böse, das in mir wütet, sobald ich hungrig bin, kann nur Menschen schaden, aber nicht Mahren. Ich kann froh sein, dass Angelo mich nicht getötet hat, denn dann hätte ich gar nichts mehr für dich tun können. Wenn du dich ihm nicht in deiner ganzen nackten Pracht gezeigt und ihn damit von mir abgelenkt hättest, hätte er es wahrscheinlich oben in der Sila getan, vor euer aller Augen.«
    Ich stand ruckartig auf und lief ein paar Schritte von Colin weg, um mich zu beruhigen. In dieser Verfassung konnte ich nicht weiter mit ihm reden, ohne zu heulen oder um mich zu schlagen vor Demütigung. Lügen. Lügen über

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