Dornenliebe
Zeit.
»Luna«, sagt Jaron leise, zögert erneut, blickt sich um, dann gibt er sich einen Ruck. »Eigentlich wollte ich es noch nicht tun, aber ich glaube, es geht nicht mehr anders.« Er schluckt. »Ich muss mit dir reden.«
Luna sieht ihn an, begreift nicht sofort, begreift doch. Nein, denkt sie, nein. Sag nichts, es zerstört doch nur alles, auch wenn es so schön wäre, so unendlich schön und ich nichts auf der Welt lieber hören würde.
»Gleich«, antwortet sie, »ich muss mich nur kurz bei Falk melden, er wartet -«
»Um ihn geht es«, unterbricht Jaron sie. »Bitte, Luna, hör mir erst zu. Es ist wichtig.«
Sie bleibt sitzen. Die Studenten um sie herum beginnen, wieder in ihre Hörsäle zu strömen, nach und nach leert sich der Flur. Jetzt könnte Falk uns sehen, denkt Luna angstvoll, vielleicht ruft er nicht an, weil er längst irgendwo hier ist. Uns beobachtet, alles genau sieht. Dennoch wartet sie ab, was Jaron zu sagen hat, spürt instinktiv, dass er keinen Aufschub dulden, sich nicht abwimmeln lassen würde.
»Gehen wir raus?«, fragt Jaron, nun ist er es, der aufstehen will, sie schüttelt heftig den Kopf, um Himmels willen, denkt sie; draußen sind wir erst recht nicht sicher. In
ihrem Magen breitet sich ein flaues Gefühl aus, sie schluckt, irgendwas kommt jetzt, denkt sie; irgend etwas, das ich nicht will, das ich aufhalten will, alles ist durcheinander. Jaron nimmt ihre Hand.
»Seit dem ersten Tag hier an der Uni bist du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen, Luna. Ich denke immer an dich, und wenn du in meiner Nähe bist, geht es mir einfach gut.«
Luna sieht ihn an, nickt, natürlich, ihr geht es ja genauso, an Jarons Seite kann sie ganz sie selbst sein, weiß sicher, dass sie so gemocht wird, wie sie ist, egal wie sie sich kleidet, egal mit wem sie spricht. In seiner Nähe kann sie entspannen, immer, ohne auf jedes Wort achten zu müssen, das sie sagt, ohne sich bei jeder Geste, jedem Satz zu fragen, ob es richtig war. Ihr Herzschlag beschleunigt sich, sie weiß nicht, ob das eben eine Liebeserklärung von Jaron war, nur das nicht, denkt sie; bitte nicht. Sie antwortet nicht, sieht ihm nur in die Augen, kann nichts sagen, doch in dem Blick, mit dem Jaron ihren festhält, erkennt sie, dass er versteht.
»Meine Gefühle für dich spielen aber jetzt erst mal keine Rolle. Ich weiß, dass du mit Falk zusammen bist, und das auch noch frisch«, fährt er fort, ohne ihre Hand loszulassen, ganz sachte streichelt er ihre Finger. »Aber vorhin hast du seine Eifersucht erwähnt. Deshalb wollte ich mit dir reden.« Er wirkt jetzt nervös, beißt auf seine Unterlippe und scharrt mit dem Fuß auf dem Boden. Doch dann gibt er sich einen Ruck. »Er hat es dir wahrscheinlich noch nicht gesagt, aber Falk hat vor ungefähr zwei Jahren seine Freundin verloren. Sie hieß Teresa.«
Luna stutzt. »Falks Freundin? Ich dachte, keine kam bisher an ihn ran. Das hat Sarah jedenfalls gesagt.«
»Sarah ist erst später in unsere Clique gekommen, sie hat sie gar nicht mehr kennengelernt und die anderen
haben auch kaum noch von ihr geredet. Jedenfalls war Falk seit Teresas Tod mit keinem Mädchen mehr zusammen - bis du kamst. Und jetzt scheint alles wieder von vorne loszugehen. Als ich dich vorhin gesehen habe, zum ersten Mal seit längerer Zeit, ungeschminkt und in unscheinbaren Sachen - da war es mir, als ob jemand die Zeit zurückgedreht hätte. Zurück auf Null, und alles beginnt noch einmal von vorn.«
»Moment.« Luna starrt ihn an. »Du hast gesagt, Falks Freundin wäre gestorben? Jetzt wird mir vieles klar. Falk klammert so, weil er Angst hat, mich auch noch zu verlieren, nicht durch den Tod, aber durch einen anderen Typen! Deshalb hat er ständig Angst, ich könnte ihm untreu werden!« Sie schüttelt den Kopf. »Dabei habe ich doch ganz Ähnliches durchgemacht, warum mauert er nur so, ich verstehe ihn doch!« Schon tastet sie in ihrer Tasche nach dem Handy, will ihn anrufen, ihm schreiben, ihm irgendwie vermitteln, dass alles wieder gut werde. Aber Jaron drückt ihre Hand fester.
»Luna«, sagt er eindringlich. »Sieh mich an, bitte. Teresa war in unserem Alter, da stirbt man nicht einfach so.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich kannte Teresa, wir auf demselben Gymnasium und haben gemeinsam für die Schülerzeitung gearbeitet. Sie war im Jahrgang über mir, war das begehrteste Mädchen der Schule, fast immer super drauf, sexy angezogen, selbstbewusst, beliebt und total hübsch. Ihr Abi hat sie mit
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