Dornenliebe
wischt darunter, fährt mit dem Tuch über den CD-Player stellt ihn an und hört zum ersten Mal seit Langem wieder eine Scheibe mit Rockballaden, mit Musik macht das Putzen mehr Spaß, vielleicht ist ein Song dabei, den sie heute Abend mit Falk hören kann. Auch den Couchtisch wischt sie ab, geht in die Küche, um einen feuchten Lappen zu holen, bestimmt sind noch Ränder von ihrer Teetasse oder einem Saftglas
darauf, doch sie findet nichts. Sie geht weiter zum Schreibtisch, auf dem das Notebook liegt, eigentlich könnte sie rasch ihre Mails lesen, viele werden es nicht sein. Luna setzt sich auf den Stuhl und will das Notebook aufklappen, auch auf seiner schwarz glänzenden Oberfläche liegt der Staub millimeterdick, bis auf die Fingerspuren, die sich deutlich dagegen abheben, anklagend, als hätte jemand absichtlich diese Spuren in den Staub gezeichnet, mahnend, so schmutzig darf es nicht sein.
Luna stutzt. Seit Tagen ist sie kaum hier gewesen, und schon gar nicht am Laptop. Trotzdem sind die Fingerspuren frisch, eindeutig, es hat sich noch fast kein Staub darauf gesenkt, sie können nur wenige Stunden alt sein.
Falk, denkt sie sofort und spürt, wie ihr Herz zu rasen beginnt. Falk war hier, in meiner Wohnung, dabei habe ich ihm noch gar keinen Schlüssel gegeben. Und er war an meinem Laptop, jemand anders kann es gar nicht gewesen sein.
In Lunas Kopf rauscht es, das kann nicht sein, denkt sie immer wieder, versucht, einen klaren Kopf zu behalten, es gelingt ihr nicht, es kann nicht sein, das kann er nicht machen! Er kann doch nicht einfach hier eindringen! Erst hat er mein Handy gefilzt, jetzt mein Notebook, Jaron hat recht gehabt, Falk geht zu weit, viel zu weit, das hat nichts mit Liebe zu tun und nicht mit Vertrauen, es kann nicht sein. Luna steht wieder auf, ihre Augen jagen durchs Zimmer, als würde Falk sich noch immer irgendwo verstecken, er kann überall sein, im Bad, in einem Schrank, vor dem Fenster, sie stellt sich vor, er habe eine Kamera installiert, ein Abhörgerät, damit es nichts mehr gibt, was sie unbeobachtet tun kann. Ihr ist kalt, obwohl sie die Heizung auch während ihrer Abwesenheit hat laufen lassen, ihre Beine zittern und an ihren Armen hat sich eine Gänsehaut gebildet. Ich muss was tun, denkt sie; jemanden anrufen,
fragen, was ich jetzt machen soll, Sarah, Jaron, meine Eltern, nein, nicht die Eltern. Viel mehr Möglichkeiten gibt es nicht, vielleicht kann Falk alles hören, sie kann niemanden anrufen, sie ist allein auf sich gestellt.
Noch immer zitternd, sinkt Luna auf ihr Sofa, unfähig, sich zu bewegen, die schräg stehende Sonne versinkt hinter den Häusern, Luna merkt kaum, wie sich die Dunkelheit auch über ihr Zimmer senkt, bei Licht würde sie sich noch mehr bobachtet fühlen. Noch immer hängt Falks Duft im Raum, sein Duft, den sie so liebt, jetzt will sie ihn loswerden, sich befreien, doch selbst wenn sie das Fenster öffnet und die kalte Dezemberluft ins Zimmer lässt, ändert das nichts, sie ist gefangen. Das Notebook, sie will wissen, was er darin gesehen, was er gelesen hat. Zum Glück hat sie kaum jemanden, mit dem sie regelmäßig schreibt, kennt keine Mailadresse von Jaron. Sie hält kurz inne, weil Jarons Gesicht vor ihr auftaucht; Jaron, verliebt in sie. Jaron, der warmherzige, nette Kommilitone, der unbeschwerte Freund, der sie von Anfang an alles Schwere so leicht hat vergessen lassen. Sie selbst hat die Schmetterlinge verdrängt, die sie jedes Mal spürt, wenn sie in seiner Nähe ist, hat es verscheucht, dieses leise Flattern, das sich so gut anfühlt und das sie auch jetzt wieder spürt, ganz tief in ihrem Inneren breitet es sich aus und beruhigt sie, zaubert ihr ein Lächeln auf das Gesicht, wenn es auch längst keinen derartigen Sturm in ihr auslöst, wie Falk es immer wieder versteht, wenn er sich ihr zuwendet, ihr Liebe verspricht. Jaron, denkt sie, Jaron. Ich will auch für dich da sein, wenn du mich brauchst.
Ihren Eltern muss sie heute ohnehin schreiben, sicher warten sie schon, die Telefonate sind immer kurz und auf das Nötigste beschränkt, von Falk hat Luna noch nichts erzählt, vielleicht hat er das überprüft, wollte wissen, was sie erzählt hat, wird andere Mails durchsucht haben, um
zu sehen, ob Luna ihn betrügt, wen sie vor ihm alles gekannt hat, was ihr noch an Kontakten geblieben ist, sie hat ihm alles erzählt, er glaubt ihr trotzdem nicht. Auf Zehenspitzen schleicht sie durch die ganze Wohnung, es ist gerade noch hell genug, um alles sehen
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