Dornenschwestern (German Edition)
können.
Unser vierjähriger Sohn Edward begrüßt uns voller Freude und will uns alles zeigen, er platzt schier vor Stolz. Er hat auf seinem kleinen Pony reiten gelernt und stürmt schon mit einer Lanze gegen eine Stechpuppe an. Sein Pony ist ein geschicktes kleines Tier, das weiß, was es zu tun hat, und im munteren Trab exakt im richtigen Winkel anreitet, dass Edward mit seiner kleinen Lanze das Ziel trifft. Sein Lehrer lacht und lobt ihn, und ich strahle vor Stolz. Er macht gute Fortschritte beim Lernen und fängt gerade mit Latein und Griechisch an.
«Das ist nicht einfach!», sage ich zu seinem Lehrer.
«Je früher er anfängt, desto leichter fällt es ihm», versichert dieser mir. «Und er sagt seine Gebete und folgt der Messe schon auf Latein. Man muss auf diesem Wissen aufbauen.»
Sein Lehrer gibt ihm ein paar Tage frei, sodass ich mit ihm ausreiten kann. Ich kaufe ihm einen kleinen Merlin-Falken, damit er mit seinem eigenen Vogel mit uns auf die Jagd gehen kann. Er ist wie die Miniaturausfertigung eines kleinen Edelmannes, wie er mit dem hübschen Falken auf dem Arm rittlings auf seinem stämmigen Pony sitzt. Er reitet den ganzen Tag und meint, er sei nicht müde, doch dann schläft er auf dem Heimritt zweimal ein, und Richard hält auf seinem großen Jagdpferd seinen kleinen Sohn in den Armen, während ich das Pony führe.
Am Abend speist er mit uns am hohen Tisch, während er den Blick durch die schöne Halle schweifen lässt, in der sich unsere Soldaten, Wachen und Diener drängen. Die Leute kommen aus Middleham, um uns speisen zu sehen und die Reste mitzunehmen, und ich schnappe ihre Bemerkungen über die Haltung und den Charme des kleinen Lords auf, meinen Edward. Wenn Richard sich nach dem Essen in sein Privatgemach zurückzieht, um am Kaminfeuer zu sitzen und zu lesen, gehe ich mit Edward zur Schlafenszeit in seine Kinderstube. Und wenn er dann frisch gewaschen im Bett liegt, küsse ich sein glattes Gesicht und weiß, was es bedeutet, jemanden mehr zu lieben als das Leben.
Bevor er zu Bett geht, betet er – kurze lateinische Gebete, die ihm seine Kinderfrau beigebracht hat, ohne ihre Bedeutung recht zu verstehen. Ernst betet er auch für mich und seinen Vater, und wenn seine dunklen Wimpern sanft auf seinen süßen Wangen ruhen, knie ich mich neben sein Bett und bitte Gott, dass er groß und stark wird und wir ihn stets beschützen können. Auf der ganzen Welt gibt es niemanden, den ich mehr liebe als diesen Jungen.
Die Sommertage verbringe ich mit meinem kleinen Sohn, höre ihm zu, wenn er in der sonnendurchfluteten Kinderstube etwas vorliest. Ich reite mit ihm über das Moor, gehe mit ihm am Fluss angeln und spiele im Innenhof mit ihm Fangen und Schlagball, bis er so müde ist, dass er am Abend auf meinem Schoß einschläft. Das Leben ist auf einmal so leicht. Ich esse gut und sinke in meinem Bett mit dem prächtigen Baldachin in einen tiefen Schlaf, eng an Richard geschmiegt, als wären wir wieder frisch verliebt und erst kurz verheiratet. Ich wache am Morgen auf und höre die Schreie der Kiebitze über dem Moor und das unaufhörliche Schnattern und Zwitschern der nistenden Schwalben, die ihre halbrunden Nester aus Lehm unter die Kragsteine gebaut haben.
Doch ich werde nicht wieder schwanger. Ich ergötze mich an meinem Sohn, doch ich sehne mich nach einem zweiten Kind. Die Holzwiege steht unter der Treppe in der Kinderstube. Edward sollte einen Bruder oder eine Schwester zum Spielen haben. In einem Brief erlaubt der Papst mir, während der Fastenzeit und an allen anderen Fastentagen Fleisch zu essen. Beim Abendessen schneidet Richard mir die besten Stücke vom Lamm ab und tut mir Bratfett und die Haut des Brathühnchens auf, doch all das nützt nichts. In unseren langen leidenschaftlichen Nächten klammern wir uns mit verzweifeltem Verlangen aneinander, doch in mir wächst kein neues Leben heran.
Ich dachte, wir würden den Sommer und den Herbst auf unseren Besitzungen im Norden verbringen, vielleicht nach Barnard Castle reisen oder uns die Umbauarbeiten an der Burg in Sheriff Hutton ansehen, doch Richard bekommt eine dringende Nachricht von seinem Bruder Edward, der ihn zurück nach London beruft.
«Edward braucht mich.»
«Ist er krank?» Plötzlich habe ich Angst um den König, und einen Augenblick schießt mir etwas Undenkbares durch den Kopf: Hat sie ihren eigenen Gemahl vergiftet?
Richard ist kreidebleich vor Entsetzen. «Edward geht es gut, aber George ist zu weit gegangen.
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