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Dornenschwestern (German Edition)

Dornenschwestern (German Edition)

Titel: Dornenschwestern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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ausgebildet ist und Edward damit zurechtkommt. Wenn ich meinen Sohn in den Armen halten könnte wie das Kleinkind, das er einst war, würde ich ihn nicht mehr loslassen. Ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass die grauen Augen der Königin auf uns gerichtet sind, dass sie sich gegen meinen Gemahl gewandt hat, Ränke schmiedet und unseren Tod herbeibeschwört. Nun ist es offensichtlich: wir oder sie.

Middleham Castle, Yorkshire

Juni 1483
    N ach dem Frühgebet in der Kapelle gehe ich jeden Morgen hinauf auf den Südturm und blicke gen Süden zur Straße nach London. Eines Tages sehe ich eine Staubwolke, die von der unbefestigten Straße aufsteigt, nachdem ein halbes Dutzend Reiter sie passiert hat. Ich rufe meiner Dienerin zu: «Hol die Kinder und bring sie in mein Gemach und schick die Wache raus. Es kommt jemand.»
    Ihr erschrockener Blick und ihre eiligen Schritte die Treppe hinunter verraten mir, dass ich nicht die Einzige bin, die weiß, dass mein Gemahl – weit davon entfernt, die Thronfolge für seinen Neffen zu sichern – in Gefahr ist und dass die Gefahr auch vor unserer Burg, unserem sicheren Heim, nicht haltmacht.
    Das Fallgatter wird herabgelassen und die Zugbrücke hochgezogen. Die Wachen bemannen eilig die Mauern der Burg. In der großen Halle warten die Kinder auf mich. Margaret hält ihren Bruder an der Hand. Edward trägt sein Kurzschwert, sein blasses Gesicht drückt Entschlossenheit aus. Sie knien nieder, damit ich sie segne, und als ich die Hand auf ihre warmen Köpfe lege, könnte ich aus Angst um die drei weinen.
    «Reiter kommen zur Burg», sage ich so ruhig wie möglich. «Vielleicht sind es Boten von eurem Vater, doch da das Land in Aufruhr ist, möchte ich kein Wagnis eingehen. Deswegen habe ich nach euch geschickt.»
    Edward steht auf. «Ich wusste nicht, dass das Land in Aufruhr ist.»
    Ich schüttele den Kopf. «Das war nicht ganz richtig ausgedrückt. Wir führen keinen Krieg, und alle warten darauf, dass dein Vater sein rechtmäßiges Amt als Regent antritt. Am Hof herrscht Unruhe, weil die Königin anstelle ihres Sohnes regieren will. Es könnte sein, dass sie sich zur Regentin ausrufen lassen will. Ich habe Angst um deinen Vater, denn er ist durch sein Versprechen gegenüber dem König verpflichtet, Prinz Edward in seine Obhut zu nehmen und ihm beizubringen, wie man regiert, und ihn auf den Thron zu setzen. Wenn die Mutter des Prinzen sich dem entgegenstellt, muss dein Vater urteilen und rasch und machtvoll handeln.»
    «Aber was könnte die Königin tun?», fragt die kleine Margaret mich.
    «Ich weiß es nicht», sage ich. «Deswegen müssen wir vorbereitet sein, falls sie uns angreift. Doch hier sind wir sicher, die Soldaten sind stark und gut ausgebildet, und die Burg ist uns treu. Der Norden Englands steht hinter deinem Vater, als wäre er der König selbst.» Ich bemühe mich um ein Lächeln. «Wahrscheinlich bin ich nur überängstlich. Doch mein Vater war stets auf der Hut. Er hat immer die Zugbrücke hochgezogen, wenn er die Besucher nicht kannte.»
    Wir warten und lauschen. Dann höre ich, dass der Hauptmann der Wache etwas ruft, doch die Antwort verstehe ich nicht. Das Rattern der Kette verrät mir, dass die Zugbrücke herabgelassen wird. Dumpf schlägt sie auf der anderen Seite des Grabens auf. Das Fallgatter quietscht, als sie es hochwuchten.
    «Wir sind sicher», sage ich zu den Kindern. «Freunde bringen uns eine Nachricht.»
    Ich höre Schritte auf der Steintreppe, die hinauf in die Halle führt. Dann öffnet meine Wache die Tür, und mit einem Lächeln tritt Sir Robert Brackenbury ein, Richards Freund aus Kindertagen.
    «Es tut mir leid, wenn ich Euch erschreckt habe, Mylady», sagt er, kniet sich vor mich und reicht mir einen Brief. «Wir sind scharf geritten. Ich hätte jemanden vorausschicken sollen, der Euch Bescheid sagt, dass es mein Trupp ist.»
    «Ich fand es angebracht, Vorsicht walten zu lassen», erwidere ich, nehme den Brief und bedeute meiner Hofdame, sie möge Sir Robert ein Glas Dünnbier einschenken. «Ihr könnt gehen», sage ich zu den Kindern und meinen Damen. «Ich muss mit Sir Robert reden.»
    Edward zögert. «Darf ich Sir Robert fragen, ob es meinem Vater gut geht?»
    Sir Robert wendet sich ihm zu und bückt sich, um auf Augenhöhe mit dem Zehnjährigen zu sprechen. «Als ich London verließ, ging es deinem Vater gut, und er hat sein Bestes getan», wendet er sich freundlich an die Kinder. «Er hat Prinz Edward in seine Obhut genommen und

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