Dornenschwestern (German Edition)
auf den Weg. Er unterbricht die Reise in York, und die ganze Stadt schwört seinem Neffen den Treueeid. Er erklärt, die Stadt könne den verstorbenen König ehren, indem sie seinem Sohn die Treue halte. Dann reitet er weiter nach London.
Ich höre nichts von ihm. Das Schweigen überrascht mich nicht, er ist auf dem Weg nach London. Worüber sollte er schreiben? Dass sie nur langsam vorankommen und die Straßen im Frühjahr matschig sind? Ich weiß, dass er sich mit dem Duke of Buckingham trifft, dem jungen Henry Stafford, der gegen seinen Willen mit der Woodville-Schwester Catherine verheiratet wurde, als sie beide noch Kinder waren, und gegen sein Gewissen dem Todesurteil für George zugestimmt hat, um seiner Gemahlin und deren Schwester zu Willen zu sein. William Hastings, der wahre Freund des Königs, hat Richard geschrieben, er möge sogleich kommen. Er hat ihn vor der Feindschaft der Königin gewarnt. Die großen Lords werden sich versammeln, um den Jungen Edward, den Thronerben, zu beschützen. Sicherlich werden die Rivers den Erben von allen abschirmen, doch wer kann sich Richard verweigern, dem Bruder des Königs, dem von ihm benannten Lord Protektor Englands?
Middleham Castle, Yorkshire
Mai 1483
M itte Mai erhalte ich einen Brief von meinem Gemahl, eigenhändig verfasst und mit seinem persönlichen Siegel versehen. Ich ziehe mich in mein ruhiges Gemach zurück und lese ihn am Glasfenster, durch das genügend Licht fällt.
Du wirst hören, dass mein Neffe am 22 . Juni gekrönt werden soll, doch komm nicht nach London, solange ich es Dir nicht mit eigener Hand schreibe. London ist nicht sicher für die, die nicht den Rivers die Treue geschworen haben oder mit ihnen oder ihren Freunden verwandt sind. Jetzt zeigt sie ihr wahres Gesicht, und ich bin auf das Schlimmste gefasst. Sie weigert sich, Königinwitwe zu sein, sie will sich selbst krönen. Sie ist meine Widersacherin, und ich muss ihr entgegentreten, und ich vergesse dabei weder meinen Bruder George noch Deine Schwester noch ihr Kind.
Ich gehe in die Küche, wo im großen Kamin Tag und Nacht ein Feuer brennt, werfe den zerknüllten Brief zwischen die glühenden Scheite und warte, bis er verbrannt ist. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als auf Nachricht zu warten.
Im Stallhof sehen die Kinder zu, wie die Hufschmiede ihre Ponys beschlagen. Alles ist ruhig und wie immer: die lodernde Esse, der beißende Rauch, der in einer Wolke von dem Huf aufsteigt. Mein Sohn Edward hält den Halfterstrick seines neuen Pferds, eines hübschen Cobs, und der Hufschmied klemmt sich das Bein des Pferds zwischen die Knie und schlägt die Nägel hinein. Ich kreuze die Finger, das alte Zeichen gegen Hexerei, und schaudere, als mich von der Tür zur Milchkammer ein kühler Zug umweht. Wenn die Königin ihr wahres Gesicht zeigt und mein Gemahl sich auf das Schlimmste gefasst macht, wird ihre Feindschaft gegenüber mir und den Meinen für alle offensichtlich werden. Vielleicht pfeift sie just in diesem Augenblick einen Pestwind gegen mich. Vielleicht belegt sie gerade den Schwertarm meines Gemahls mit einem Fluch, raubt ihm die Kraft, besticht seine Verbündeten, vergiftet den Geist der Männer.
Ich gehe in die Kapelle, sinke auf die Knie und bete, dass Richard stark genug ist, sich mit aller Macht gegen Elizabeth Woodville und ihre Unterstützer zu wehren. Hoffentlich bedient er sich aller Waffen, die ihm in die Hände fallen, denn sie wird vor nichts haltmachen, um ihren Sohn auf den Thron zu setzen und uns zu vernichten. Margarete von Anjou hat mich gelehrt, dass es Zeiten gibt, da man bereit sein muss, alles zu tun, um sich selbst oder die Position, die einem gebührt, zu verteidigen. Und ich hoffe, dass mein Gemahl zu allem bereit ist. Ich weiß nicht, was in London geschieht, und fürchte den Ausbruch eines neuen Krieges. Diesmal wird der treue Bruder des Königs gegen die treulose Königin antreten. Und wir müssen unbedingt siegen.
Mit einem Brief an Richard, in dem ich ihn um Neuigkeiten bitte, schicke ich einen Wachmann los. Ich warne ihn vor der Königin.
Du weißt, sie hat Kräfte, also schütze Dich. Tu, was Du tun musst, um das Erbe Deines Bruders zu schützen und für unsere Sicherheit zu sorgen.
In Middleham Castle verbringe ich die Nachmittage allein mit den Kindern, als könnte ich verhindern, dass ein Pestwind aus London oder ein verirrter Pfeil sie trifft, wenn ich sie unablässig im Auge behalte. Ich achte darauf, dass das neue Pferd gut
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