Dornenschwestern (German Edition)
mit der guten Nachricht zur Tür herausgeplatzt? Schreit sie auf vor Freude?, überlege ich. Habe ich je erlebt, dass sie vor Jubel getanzt hat? Die rote Nachmittagssonne wandert langsam über die Bildteppiche an den Wänden und erhellt eine Szene und dann eine andere, und aus ihrem Gemach dringt immer noch kein Laut.
Als schließlich der Abend heraufdämmert und die Diener die Kerzen bringen, geht die Tür auf, und meine Mutter kommt heraus, den Brief in der Hand.
«Holt den Hauptmann der Burg», sagt sie zu einer Hofdame, «und den Kommandeur der Leibgarde. Und holt den Haushofmeister meines Lords und den Kammerjunker und seinen Oberstallmeister hierher.»
Sie setzt sich auf ihren prächtigen Stuhl unter dem mit ihrem Adelswappen bestickten Baldachin und wartet darauf, dass die Männer durch die Doppeltür treten, sich verneigen und Haltung annehmen. Offensichtlich ist etwas Wichtiges geschehen, doch ihr unbewegtes Gesicht verrät nicht, ob wir triumphiert haben oder vernichtet wurden.
«Frag du sie», murmelt Isabel mir zu.
«Nein, du.»
Wir stehen bei den Hofdamen. Unsere Mutter sitzt da wie eine Königin. Sie befiehlt nicht, einen Stuhl für Isabel zu bringen, und das ist seltsam. Es ist, als wäre Isabels Kind plötzlich nicht mehr das bedeutendste Kind, das je zur Welt kommen wird, als wäre Isabel nicht einen Schritt vom Thron entfernt. Wir warten, dass die Männer kommen und sich vor ihr aufreihen, um ihre Befehle entgegenzunehmen.
«Ich habe eine Nachricht von meinem Gemahl, Eurem Lord», sagt sie mit harter, klarer Stimme. «Er schreibt, dass er den König von England, Edward, wieder auf dem Thron eingesetzt hat. Mein Gemahl, Euer Lord, hat eine Vereinbarung mit König Edward getroffen, und in Zukunft wird der König von den angestammten Lords des Königreiches und nicht von neu ernannten beraten werden.»
Niemand sagt etwas. Diese Männer dienen meinem Vater seit vielen Jahren, sie haben erfolgreiche Schlachten geschlagen und Niederlagen eingesteckt. Es ist unwahrscheinlich, dass sie über derart ominöse Nachrichten Bemerkungen fallen lassen. Doch die Hofdamen schütteln flüsternd die Köpfe. Eine nickt Isabel zu, als fühlte sie mit ihr, dass sie am Ende doch nicht Königin von England wird und sich nicht mehr als etwas Besonderes betrachten darf. Meine Mutter sieht uns nicht einmal an; ihr Blick ist auf die Wandbehänge über unseren Köpfen gerichtet, und ihre Stimme bebt nicht.
«Wir gehen nach London, um dem rechtmäßigen König Edward und seiner Familie unsere Freundschaft und Treue zu erweisen», sagt sie. «Meine Tochter, die Herzogin, wird sich mit ihrem Gemahl George treffen, den Duke of Clarence. Lady Anne wird mich natürlich begleiten. Und mein Lord schickt noch mehr gute Nachrichten: Unser Neffe John wird mit der Tochter des Königs, Prinzessin Elizabeth of York, verlobt.»
Ich schaue rasch zu Isabel hinüber. Das sind ganz und gar keine guten Nachrichten, nein, sie sind zutiefst beunruhigend. Mein Vater hat eine andere Figur ins Spiel gebracht, genau wie Isabel befürchtet hat, und sie wurde zur Seite gestoßen. Er verheiratet seinen Neffen mit dem königlichen Haushalt, mit der königlichen Erbin, der kleinen Prinzessin Elizabeth. Mein Vater bekommt so oder so einen Neville auf den Thron; dies ist sein neuer Plan, und Isabel ist Teil des alten Plans, den er verworfen hat.
Isabel beißt sich auf die Unterlippe. Ich strecke die Hand nach ihr aus, und verborgen in den weiten Rockfalten ihres Kleides halten wir einander an der Hand.
«Mein Neffe erhält ein Herzogtum», sagt meine Mutter ruhig. «Er wird Herzog von Bedford. Dies ist eine Ehre seitens des Königs und eine Geste seines Wohlwollens gegenüber unserem Neffen, dem Erben meines Gemahls. Es ist der Beweis der Freundschaft des Königs zu uns und seiner Dankbarkeit für unsere Fürsorge für ihn. Das ist alles. Gott schütze den König und segne das Haus Warwick.»
«Gott schütze den König und segne das Haus Warwick!», wiederholen alle, als wäre es möglich, sich zwei so gegensätzliche Dinge auf einmal zu wünschen.
Meine Mutter erhebt sich und bedeutet Isabel und mir mit einem Nicken, ihr zu folgen. Ich gehe hinter Isabel, erweise ihr den einer Herzogin gebührenden Respekt – einer Herzogin, aber keiner Königin. In einem einzigen Augenblick hat Isabel ihren Thronanspruch verloren. Wer will schon eine Herzogin sein, wenn unser Cousin John die Erbin von York heiraten wird, die Tochter des Königs? Cousin John
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