Dornenschwestern (German Edition)
gegenüber seinem Vater und seinem König. Mein Gemahl hat seinen gekrönten und gesalbten König verteidigt, und doch wurde er von Eurem Mann des Verrats bezichtigt und geköpft. Es war kein ehrenwerter Tod auf dem Schlachtfeld. Von Dutzenden von Schlachtfeldern ist er immer sicher zu mir nach Hause zurückgekehrt. Das hat er mir geschworen: dass er immer aus der Schlacht zu mir zurückkehrt. Und er hat diesen Schwur nie gebrochen. Gott segne ihn, dass er sein Versprechen mir gegenüber nicht gebrochen hat. Er ist auf dem Schafott gestorben, nicht auf dem Schlachtfeld. Das werde ich nie vergessen. Dafür gibt es keine Entschuldigung.»
Ein wahrlich schreckliches Schweigen macht sich breit. Alle Augen sind auf uns gerichtet, während wir der Mutter der Königin zuhören, wie sie ihre Feindschaft gegen uns beschwört. Ich schaue auf und stelle fest, dass der eisige Blick der Königin voller Hass auf mir ruht. Rasch schlage ich die Augen nieder.
«Dies sind die Wechselfälle des Krieges», sagt meine Mutter unbeholfen, als suchte sie nach einer Rechtfertigung.
Dann tut Jacquetta etwas Seltsames und zugleich Schreckliches. Sie schürzt die Lippen und stößt ein langes, schauriges Pfeifen aus. Irgendwo draußen schlägt ein Fensterladen zu, und plötzlich fegt ein kalter Wind durchs Zimmer. Im ganzen Raum flackern die Kerzen, als wollte der kalte Wind sie auspusten. Eine Flamme in dem Kerzenständer neben Isabel zuckt auf und verlöscht. Isabel stößt einen kleinen ängstlichen Schrei aus. Jacquetta und ihre Tochter, die Königin, sehen uns an, als wollten sie uns hinfortfegen wie Schmutz und Staub.
Meine sonst so respekteinflößende Mutter fährt vor diesem seltsamen, unerklärlichen Betragen zurück. Ich habe noch nie erlebt, dass sie einer Herausforderung ausweicht, doch jetzt flieht sie, senkt den Kopf und geht zur Fensternische. Niemand grüßt uns, niemand bricht das Schweigen, das diesem überirdischen Pfeifen folgt, niemand lächelt. Einige haben auf der Hochzeit in der Burg von Calais getanzt, als dieser schreckliche Plan in Gang gesetzt wurde. Doch wenn man sie ansieht, könnte man meinen, sie wären Fremde. Wie versteinert und voller Scham stehen wir da, während der kalte Luftzug allmählich erstirbt und das Echo von Jacquettas langem Pfiff verhallt.
Die Tür geht auf, und der König kommt herein, mein Vater auf der einen, George, sein Bruder, auf der anderen Seite, Richard, der jüngere York-Herzog, ein wenig dahinter, den dunklen Kopf stolz gereckt. Er hat jeden Grund, mit sich zufrieden zu sein. Dieser Bruder hat den König nicht verraten. Seine Loyalität wurde auf die Probe gestellt, und er ist ihm treu geblieben. Er wird mit Wohlstand und Gunstbezeigungen überschüttet werden, während wir in Ungnade gefallen sind. Ich schaue zu ihm hinüber, um zu sehen, ob er uns grüßt und mich anlächelt, doch es scheint, als wäre ich unsichtbar für ihn, so wie für den übrigen Hof. Richard ist jetzt ein Mann, seine Kindheit in unserer Obhut liegt lange hinter ihm. Er war dem König treu, wir nicht.
George kommt langsam in unsere einsame kleine Ecke herüber, den Blick abgewandt, als schämte er sich unserer Gegenwart, und Vater folgt ihm mit langen federnden Schritten. Vaters Selbstbewusstsein ist unerschüttert, sein Lächeln immer noch kühn, seine braunen Augen strahlen, sein dicker Bart ist ordentlich gestutzt, seine Autorität durch die Niederlage ungetrübt. Isabel und ich knien nieder, um seinen Segen zu empfangen, und er legt die Hand leicht auf unsere Köpfe. Als wir uns erheben, nimmt er Mutters Hand, während sie ihn zaghaft anlächelt, und dann begeben wir uns alle zum Abendessen. Wir gehen hinter dem König her, als wären wir nicht geschlagene Verräter, sondern immer noch seine besten Freunde und hingebungsvollsten Verbündeten.
Nach dem Abendessen wird getanzt, und der König ist fröhlich, anziehend und munter wie immer, wie der Hauptdarsteller bei einem Maskenspiel, der die Rolle des fröhlichen, guten Königs spielt. Er schlägt meinem Vater auf den Rücken, legt seinem Bruder George den Arm um die Schulter. Er zumindest spielt seine Rolle, als wäre alles in Ordnung. Mein Vater, ebenso gewieft wie sein früherer Verbündeter, ist ebenfalls ungezwungen. Er sieht sich unter den Anwesenden um und grüßt Freunde, die wohl wissen, dass wir Verräter und nur durch das Wohlwollen des Königs hier sind, und weil halb England in unserem Besitz ist. Hinter vorgehaltener Hand feixen sie
Weitere Kostenlose Bücher