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Dornenschwestern (German Edition)

Dornenschwestern (German Edition)

Titel: Dornenschwestern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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und sie wird Königin. Die Krönung soll in London gebührend gefeiert werden. Sie wird das Zepter in die Hand nehmen und es über ihren großen Bauch legen, und ihr Krönungskleid wird vorne dick gerafft, um ihre Schwangerschaft zu betonen.
    Zahlreiche Truhen werden aus der königlichen Kleiderkammer nach Norden gebracht. Isabel und ich öffnen sie wie Kinder am Neujahrstag im schönsten Gemach der Burg und verteilen den Inhalt im ganzen Zimmer, betrachten die Goldspitze und erfreuen uns an den im Feuerschein funkelnden eingearbeiteten Edelsteinen.
    «Er hat es getan», sagt Isabel atemlos und betrachtet die Truhen, die Vater ihr geschickt hat. «Vater hat ihr alles weggenommen. Dies sind ihre Pelze.» Sie vergräbt das Gesicht in den dicken Fellen und gibt einen leisen ehrfürchtigen Seufzer von sich. «Riech mal! Sie duften noch nach ihrem Parfüm. Er hat ihr nicht nur ihre Pelze weggenommen, sondern sicher auch ihr Parfüm. Ich werde auch ihr Parfüm tragen. Er hat gesagt, ich soll alle Pelze aus der königlichen Kleiderkammer haben, um meine Kleider damit zu besetzen. Er wird mir ihren Schmuck und ihre Kleider aus Brokat und Goldbrokat schicken, damit sie für mich geändert werden. Er hat es wirklich getan.»
    «Du hast doch nicht daran gezweifelt?», frage ich und streichele den weichen Hermelin mit den dunklen Flecken, den nur Könige und Königinnen tragen dürfen. Isabel wird sich alle Umhänge damit säumen lassen. «Er hat König Henry besiegt und hält ihn gefangen. Und jetzt hat er König Edward besiegt und hat auch ihn festgesetzt. Manchmal stelle ich mir vor, wie er auf dem Rücken von Midnight durch das ganze Land reitet, unbesiegbar.»
    «Zwei Könige im Gefängnis und ein neuer auf dem Thron?», wirft Isabel ein und legt die Pelze zur Seite. «Wie kann das sein? Warum soll der dritte König sicherer sein als die anderen beiden? Und was ist, wenn Vater sich gegen George wendet? Wenn Vater neue Pläne macht, in denen ich keine Rolle mehr spiele, die womöglich gegen mich gerichtet sind? Vielleicht will der Königsmacher nach George einen neuen König.»
    «Das wird er nicht tun, für ihn gibt es jetzt nur noch dich und George. Und du trägst den Prinzen unter dem Herzen, seinen Enkelsohn», sage ich resolut. «Er hat das alles für dich getan, Isabel. Er setzt dich auf den Thron, und du wirst dort bleiben, und der nächste König von England wird ein Neville sein. Wenn er das für mich getan hätte, wäre ich das glücklichste Mädchen in ganz England.»
    Doch Isabel ist alles andere als glücklich. Meine Mutter und ich begreifen nicht, warum sie nicht frohlockt. Wir glauben, sie ist müde wegen der Schwangerschaft, denn sie möchte an den strahlend kalten Vormittagen nicht spazieren gehen und erfreut sich auch nicht an der scharfen Herbstluft. Sie ist ängstlich, während unser ganzer Haushalt triumphiert und in unserem Aufstieg zur Macht schwelgt. Eines Tages wird beim Abendessen der Oberstallmeister meines Vaters angekündigt, sein vertrauenswürdigster und verlässlichster Mann. Er durchschreitet die ganze Länge der großen Halle, und die Anwesenden fangen an zu wispern, als er meiner Mutter einen Brief über den hohen Tisch reicht. Sie nimmt ihn, überrascht, dass der Mann noch schmutzig von der Straße in die Halle kommt, doch sein ernstes Gesicht verrät ihr, dass es eilige Nachrichten sind. Sie betrachtet das Siegel – das Emblem meines Vaters mit dem Bären und dem abgeästeten Baumstamm –, geht dann ohne ein Wort durch die Tür an der Rückseite des Podiums und begibt sich in das private Wohngemach. Wir bleiben schweigend zurück.
    Isabel und ich und ein Dutzend Hofdamen nehmen unser Abendessen ein und geben uns unter den gedämpften neugierigen Blicken der anderen möglichst sorglos, doch sobald wir können, ziehen wir uns zurück, um im Audienzzimmer vor dem privaten Wohngemach zu warten. Wir tun so, als würden wir uns angeregt unterhalten, während wir uns der verschlossenen Tür und der Stille dahinter überdeutlich bewusst sind. Würde meine Mutter weinen, wenn mein Vater tot wäre? Weint sie? Ja, kann sie überhaupt weinen? Ich habe meine Mutter noch nie weinen sehen. Ich ertappe mich dabei, dass ich darüber nachdenke, ob sie weinen kann oder ob sie immer eine eiserne Miene und trockene Augen hat.
    Wenn der Oberstallmeister meines Vaters ihr einen Brief überbracht hätte, in dem wir aufgefordert werden, augenblicklich zu Izzys Krönung nach London zu eilen, wäre sie dann nicht

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