Dornenschwestern (German Edition)
erzählt, genau wie mir einst. Und jetzt wurde die Frau, die wir so gefürchtet haben, gefangen genommen und unterjocht. Edward, der Sieger, reicht ihr die Hand, um ihr aus der Sänfte zu helfen, und führt sie die breite Holztreppe hinauf auf das Podest, wo er sie umdreht, als wäre sie ein gefangenes Tier, das zu den anderen wilden Bestien in den Tower gebracht wird. Sie präsentiert sich der Menschenmenge, die jubelt über den Triumph, dass die Wölfin endlich geschnappt wurde.
Mit regloser Miene blickt sie über ihre Köpfe in den blauen Maihimmel, als könnte sie sie nicht hören, als würde das, was sie brüllen, sie nicht interessieren. Jeder Zoll eine Königin, steht sie vor ihnen. Ich kann nicht umhin, sie zu bewundern. Sie hat mich gelehrt, dass der Kampf um den Thron einen alles kosten kann, dass es den Feind alles kosten kann. Doch das ist es wert. Selbst jetzt reut sie vermutlich nur, dass sie verloren hat. Dass sie gekämpft und immer weiter gekämpft hat, wird sie niemals bereuen. Sie lächelt leicht ob ihrer Niederlage. Ihre Hand, die Edward fest umschlossen hält, zittert nicht, nicht einmal der Schleier ihres hohen Hennins bewegt sich im Wind. Sie ist eine aus Eis geschnitzte Königin.
Er lässt sie dort stehen. Alle sollen sehen, dass er sie gefangen genommen hat, und die Väter in der Menge nehmen ihre Jungen auf den Arm, damit sie sehen, was von dem Hause Lancaster noch geblieben ist: eine machtlose Frau auf den Stufen des Towers, und in dessen Gemäuer versteckt wie eine alte Fledermaus ein schlafender König. Dann neigt Edward galant den Kopf, dreht Margarete von Anjou zur Tür des White Tower und bedeutet ihr mit einer Geste, in das Gefängnis zu ihrem Gemahl zu gehen.
Sie macht einen Schritt auf die Tür zu und verharrt. Sie sieht zu uns herüber, schreitet, wie einer Eingebung folgend, langsam an uns vorüber, während sie uns der Reihe nach anblickt. Sie lässt den Blick über die Königin, ihre Töchter und ihre Hofdamen schweifen, als wären wir ihre Ehrengarde. Es ist eine großartige, in die Länge gezogene Beleidigung der Besiegten gegenüber ihren Bezwingern. Die kleine Prinzessin Elizabeth verkriecht sich hinter den Röcken ihrer Mutter und verbirgt ihr Gesicht vor dem unerschütterlichen Blick der bleichen Gefangenen. Margarete blickt von mir zu Isabel und nickt leicht, als verstünde sie, dass ich jetzt in einem neuen Spiel eingesetzt werde, von einem neuen Spieler. Bei dem Gedanken, dass ich wieder einmal gekauft und verkauft worden bin, kneift sie die Augen zusammen. Sie lächelt beinahe, als ihr aufgeht, dass ihre Niederlage mich meines ganzen Werts beraubt hat; ich bin verdorbene Ware, zerstörtes Handelsgut. Sie kann ihre Belustigung über diesen Gedanken nicht verbergen.
Dann richtet sie den Blick langsam auf Jacquetta, die Mutter der Königin, die Hexe, deren Wind all unsere Hoffnungen zunichtegemacht hat. Viele Tage hielt er uns im Hafen fest. Im Nebel der Zauberin versteckte sich die yorkistische Streitmacht in Barnet. Diese weise Frau hat ihren Enkelsohn entbunden, als sie sich im Kirchenasyl versteckt haben, und sie sind siegreich wieder daraus hervorgegangen.
Ich halte die Luft an, denn ich will unbedingt hören, was Margarete der besten Freundin, die sie je hatte, zu sagen hat. Bei der Schlacht von Towton hat sie ihr den Rücken gekehrt und sie seither nie wiedergesehen, bis zu diesem Augenblick ihrer Niederlage. Ihre Tochter hat den Feind geheiratet und die Seiten gewechselt und ist jetzt Margaretes Feindin und Zeugin ihrer Schmach.
Die beiden Frauen mustern sich, und in ihren Gesichtern erahnt man etwas von den Mädchen, die sie einst waren. Ein zaghaftes warmes Lächeln breitet sich auf Margaretes Gesicht aus, und Jacquetta blickt sie voller Zuneigung an. Es scheint, als wäre die Vergangenheit kaum mehr als der Nebel von Barnet oder der Schnee von Towton: Sie sind verschwunden, und es fällt schwer zu glauben, dass sie es je gegeben hat. Margarete streckt die Hand aus, nicht um ihre Freundin zu berühren, sondern um eine heimliche Geste zu vollführen, und Jacquetta tut es ihr nach. Einander tief in die Augen blickend, heben beide den Zeigefinger und zeichnen einen Kreis in die Luft. Dann lächeln sie sich an, als sei das Leben ein bedeutungsloser Scherz, über den eine kluge Frau nur lachen kann. Dann betritt Margarete schweigend den düsteren Tower.
«Was war das?», ruft Isabel aus.
«Das Zeichen für das Rad des Schicksals», flüstere ich ihr zu. «Das
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