Dornenschwestern (German Edition)
und mittellos wäre.
Ich will persönlich mit George sprechen, weil Isabel nur noch als sein Sprachrohr dient. Als ich eines Nachmittags zufällig an den Stallungen vorbeigehe, reitet er gerade in den Hof und sitzt ab. Ausnahmsweise ist er einmal nicht von einer großen Menschenmenge umgeben.
«Bruder, kann ich mit dir sprechen?»
Er fährt zusammen, denn ich stehe in einer schattigen Türöffnung, und er wähnte sich allein.
«Wie? Schwester, natürlich, natürlich. Es ist mir immer eine Freude, dich zu sehen.» Er schenkt mir sein selbstbewusstes, hübsches Lächeln und fährt sich mit geübter Geste durch sein dickes, blondes Haar. «Was kann ich für dich tun?»
«Es geht um mein Erbe», sage ich mutig. «Ich habe gehört, dass meine Mutter in dem Kloster bleibt, und ich frage mich, was aus ihren Ländereien und ihrem Vermögen wird.»
Er schaut zu den Fenstern hoch, als wünschte er, Isabel würde uns hier unten sehen und herbeieilen.
«Deine Mutter hat sich auf das Kirchenasyl berufen», entgegnet er. «Und ihr Gemahl war ein Verräter. Ihre Besitzungen fallen an die Krone.»
«Sein Besitz würde an die Krone fallen, wenn er als Verräter verurteilt worden wäre», verbessere ich ihn. «Doch er wurde nicht vor Gericht gestellt. Und ich glaube, seine Ländereien wurden nicht rechtmäßig eingezogen. Der König hat sie dir einfach gegeben. Du hast die Besitzungen meines Vaters als Geschenk vom König erhalten, ohne rechtliche Grundlage.»
Er blinzelt. Er wusste nicht, dass ich das weiß. Wieder sieht er sich um. Doch auch wenn die Stallburschen sich um sein Pferd, die Gerte und seine Handschuhe kümmern, ist niemand da, um mich zu unterbrechen.
«Und es ist immer noch der Besitz meiner Mutter. Sie wurde nicht zur Verräterin erklärt.»
«Nein.»
«Ich habe gehört, du hättest vorgeschlagen, ihr ihre Ländereien wegzunehmen und sie für Isabel und mich zu verwalten?»
«Das ist etwas Geschäftliches», setzt er an. «Es ist nicht nötig …»
«Und wann bekomme ich meinen Anteil?»
Lächelnd nimmt er meine Hand, hakt mich unter und führt mich ins Haus. «Darum solltest du dir keine Sorgen machen.» Er tätschelt meine Hand. «Ich bin dein Bruder und Vormund, ich kümmere mich für dich darum.»
«Ich bin Witwe», sage ich. «Ich habe keinen Vormund. Ich habe das Recht, mein eigenes Land zu besitzen, als Witwe.»
«Witwe eines Verräters», berichtigt er mich freundlich, als täte es ihm leid, so etwas sagen zu müssen. «Eines geschlagenen Verräters.»
«Der Prinz konnte, da er ein Prinz war, in seinem eigenen Land kein Verräter sein», erwidere ich. «Und ich wurde, auch wenn ich mit ihm verheiratet war, nicht als Verräterin verurteilt. Also habe ich ein Recht auf meinen Besitz.»
Zusammen gehen wir in die große Halle, wo wir zu seiner Erleichterung auf Isabel und ihre Hofdamen treffen.
Sie tritt näher. «Was gibt es?»
«Anne ist mir bei den Stallungen über den Weg gelaufen. Ich fürchte, sie ist besorgt», sagt er zärtlich, «und macht sich Gedanken um Dinge, die sie nicht kümmern müssen.»
«Geh in dein Gemach», sagt Isabel brüsk zu mir.
«Erst wenn ich weiß, wann ich mein Erbe erhalte», beharre ich und bleibe reglos stehen. Auf keinen Fall werde ich anmutig knicksen und mich entfernen.
Ratsuchend sieht Isabel ihren Gemahl an, denn sie weiß nicht, wie sie mich dazu bewegen soll, mich zurückzuziehen. Sie fürchtet, dass ich wieder zu zanken anfange, und sie kann wohl kaum die Wachen bitten, mich zu packen und hinauszuschleifen.
«Ach, Kind», sagt George freundlich. «Überlass das mir.»
«Wann? Wann bekomme ich mein Erbe?» Ich spreche absichtlich laut. Einige starren schon herüber; die vielen hundert Menschen, die sich an Georges und Isabels Hof aufhalten, spitzen die Ohren.
«Sag es ihr», flüstert sie ihm zu. «Wenn du es ihr nicht sagst, macht sie eine Szene. Ihr ganzes Leben lang hat sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden, sie wird einen Wutanfall bekommen …»
«Ich bin dein Vormund», erklärt er ruhig. «Vom König eingesetzt. Das weißt du doch, oder? Du bist Witwe, aber du bist noch ein Kind, du brauchst jemanden, der dir ein Dach über dem Kopf gewährt und für dich sorgt.»
Ich nicke. «Ich weiß, dass man sich das so erzählt, aber …»
«Dein Vermögen verwahre ich», unterbricht er mich. «Die Besitzungen eurer Mutter werden an dich und Isabel überschrieben. Ich verwalte die Güter für euch, bis du verheiratet bist, und dann werde
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