Dornenschwestern (German Edition)
oder Gesellschaften gegeben werden, und wird eingeladen, mit der Königin und ihren Hofdamen zu speisen. Doch ich werde weder eingeladen, noch erlaubt man mir, bei diesen Feierlichkeiten dabei zu sein.
Eines Tages sollen sie an einem besonderen königlichen Abendessen teilnehmen. Isabel wählt funkelnde Smaragde, ein grünes Kleid, einen grünen Schleier und einen goldenen, mit grünen Smaragden besetzten Gürtel. Ich helfe ihr beim Ankleiden und ziehe die grünen Bänder mit den goldenen Spitzen durch die Ösen ihrer Ärmel. Im Licht des vom Kerzenschein erhellten Spiegels mache ich ein mürrisches Gesicht. Ihre Hofdamen reden von nichts anderem als von dem Besuch im Westminster Palace, nur ich bleibe allein in L’Erber zurück.
Vom Fenster meines Schlafgemachs sehe ich zu, wie sie im Hof vor dem großen Tor aufsitzen. Isabel reitet einen Schimmel mit einem neuen Sattel aus grünem Leder mit grüner Samtschabracke. George neben ihr trägt keine Kopfbedeckung, sein blondes Haar leuchtet in der Sonne so golden wie eine Krone. Lächelnd winkt er den Menschen, die sich auf beiden Seiten des Tors versammelt haben, um ihnen ihre Segenswünsche zuzurufen. Es mutet wie eine königliche Reise an, und mittendrin Isabel, die Königin, die unser Vater ihr zu werden versprach.
Ich löse mich von dem schmalen Fenster und betrete das verlassene Audienzgemach. Hinter mir kommt ein Diener mit einem Korb Holz herein.
«Soll ich das Feuer aufschichten, Lady Anne?»
«Nein», sage ich über die Schulter hinweg. Sie sind durch das Tor und reiten im Trab mit klingenden Glöckchen die Elbow Lane hinunter. Die Wintersonne scheint strahlend auf Georges Wimpel. Er nickt von links nach rechts und hebt als Antwort auf den Jubel die behandschuhte Hand.
«Aber das Feuer ist heruntergebrannt», sagt der Mann. «Ich lege Holz für Euch auf.»
«Nicht nötig», erwidere ich ungeduldig. Ich drehe mich um und sehe den Mann an. Er hat die Kappe und den Umhang aus Barchent abgelegt, und seine kostbare Jacke, das schöne Leinen, seine Reithose und seine weichen Lederstiefel kommen zum Vorschein. Es ist Richard, er lächelt, weil ich so überrascht bin.
Ohne zu überlegen, laufe ich zu ihm. Das erste freundliche Gesicht seit Weihnachten. Im nächsten Augenblick liege ich in seinen Armen, und er hält mich fest und bedeckt mein Gesicht, meine geschlossenen Augen, meine lächelnden Lippen mit Küssen; er küsst mich, bis ich außer Atem bin und mich von ihm löse.
«Richard! Oh, Richard!»
«Ich bin hier, um dich mitzunehmen.»
«Mitzunehmen?»
«Um dich zu retten. Sie schotten dich immer mehr ab, bis sie das Vermögen deiner Mutter an sich gebracht haben, und dann stecken sie dich in ein Kloster.»
«Ich wusste es! Er sagt, er sei mein Vormund und werde mir meinen Teil des Vermögens geben, wenn ich verheiratet bin, aber ich glaube ihm nicht.»
«Sie werden dir niemals erlauben zu heiraten. Edward hat dich in Georges Obhut gegeben, sie werden dich nicht mehr gehen lassen. Wenn du hier rauswillst, musst du weglaufen.»
«Ich gehe», sage ich mit plötzlicher Entschlossenheit. «Ich bin bereit zu gehen.»
Er zögert, als zweifelte er an mir. «Einfach so?»
«Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen von einst», versetze ich. «Ich bin erwachsen geworden. Margarete von Anjou hat mich gelehrt, nicht zu zögern; es werde Zeiten geben, da ich das Beste für mich erkennen und den Weg ohne Furcht einschlagen müsse, ohne an andere zu denken. Ich habe meinen Vater verloren, es gibt niemanden, der über mich befehlen kann. Und von Isabel und George lasse ich mir gewiss nichts sagen.»
«Gut. Ich bringe dich ins Kirchenasyl, es ist das Einzige, was wir tun können.»
«Ist es dort auch sicher?» Ich gehe in mein kleines Schlafgemach, direkt hinter dem Audienzzimmer, und er folgt mir ohne Verlegenheit und steht in der Tür, während ich meine Truhe öffne und meine Schmuckschatulle heraushole.
«In London werden sie das Kirchenasyl nicht brechen. Ich habe einen Ort für dich in der Stiftskirche in St. Martin’s le Grand. Dort bist du in Sicherheit.» Er nimmt mir die Schatulle ab. «Sonst noch etwas?»
«Mein Winterumhang», sage ich. «Und meine Reitstiefel, die ziehe ich an.»
Nachdem ich mich aufs Bett gesetzt und mir die Schuhe ausgezogen habe, kniet er sich vor mich und hält mir einen Stiefel hin, damit ich mit meinem nackten Fuß hineinschlüpfe. Ich zögere, denn es ist eine sehr intime Geste zwischen einer jungen Frau und einem
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