Dornentöchter
oberen Treppenabsatz und stieß sie von sich. Ich sah, wie es passierte, und ich schwöre beim Grab meiner Mutter, dass ich keine Sekunde lang glaube, dass Pearl Angel etwas antun wollte. Sie versuchte lediglich, Angel abzuwehren.
Doch Angel trat einen Schritt zurück, vergaß, dass sie sich so nah an der Treppe befand, und stürzte mit einem schrecklichen Überschlag die Stufen hinunter. Es war furchtbar mit anzusehen. Sie lag da ganz komisch verdreht am Fuß der Treppe, und ich wusste, sie war tot. Maxwell drehte total durch und schrie Pearl an, während er versuchte, das Mädchen wiederzubeleben. Ich zog mich zurück und hielt mir entsetzt den Mund zu. Das Bild, wie Angels Kopf zur Seite hing wie der einer komischen großen Lumpenpuppe, hat mich noch nächtelang verfolgt. Teddy kniete gerade neben Angel und versuchte, ihren Puls zu fühlen, als eines der Mädchen – ich glaube, es war Thomasina – aufwachte und herauskam, um zu sehen, was los war. Pearl schrie sie an, sie solle ins Bett zurückgehen. Ich hörte das Kind fragen: »Warum schläft Angel auf dem Fußboden? Warum weint Daddy?«
Wenn wir nicht so betrunken gewesen wären, hätten wir uns vielleicht eine weniger beschämende Lösung ausgedacht. Aber wir waren töricht, alkoholisiert, impulsiv und verängstigt. Die Strafen für Mord waren hart. Birdie hatte zuvor bereits einen Streit zwischen Pearl und Angel miterlebt – würde da irgendjemand glauben, dass Angels Tod ein Unfall gewesen war?
Teddy war derjenige, der auf die Idee kam, den alten Meertunnel zu benutzen, um Angel in Bradley’s Cave zu bringen. Wir stimmten alle zu, ohne weiter darüber nachzudenken. Sogar Maxwell, dessen Kopf genauso in der Schlinge steckte wie Pearls – schließlich gab ihm seine Affäre mit Angel ebenso ein Motiv, sie umzubringen, betonte Pearl immer wieder. Auch wenn ich noch nie in diesem Geheimgang gewesen war, hatte ich schon lange darüber Bescheid gewusst. Pearl hatte mich schwören lassen, Stillschweigen zu bewahren. Sie benutzte ihn, um Teddy ins Haus zu schmuggeln. Und um die Mädchen vom Keller fernzuhalten, wo sie ein provisorisches Bett für ihre Liaison mit Teddy eingerichtet hatte, erzählte sie ihnen, sie hätte dort unten einen wilden Tasmanischen Teufel angekettet.
Die Flut kam, daher blieb uns wenig Zeit zum Nachdenken. Und was bedeutete Angel uns schon? Sie war eine Bedienstete, in meinen Augen keine vollwertige Person. Ehrlich gesagt, sobald ich mich ein wenig von dem Schreck erholt hatte, jemanden sterben zu sehen, erschien mir das Ganze ein bisschen wie ein doller Jux, wie etwas aus einem Film. So betrunken und dumm war ich. Bald sollte ich meine Taten bitter bereuen.
Der Eingang zum alten Tunnel war geschickt versteckt und übermalt, so dass er im Dämmerlicht des Kellers kaum zu erkennen war. Pearl hatte die Stelle mit einem Holzregal markiert, auf dem alte Farbdosen standen. Wir mussten uns tief hinunterbücken, um den Gang durch eine niedrige Holztür zu betreten. Es war schwierig, Angels toten Körper mitzuschleifen, aber den Männern gelang es gemeinsam. Sie war schon ein ordentlicher Brocken von einem Mädchen. Ich hatte ziemlich Angst, weil ich dauernd an Spinnen oder Geister denken musste und mir ausmalte, dass der Tunnel über uns einstürzen könnte. Pearl versicherte mir, dies wäre ebenso unwahrscheinlich, wie dass Poet’s Cottage selbst einstürzte. Sie wies darauf hin, dass sowohl das Haus als auch der Tunnel von meinem Vorfahren Hellyer entworfen worden waren, und der wusste, was er tat. Ich konnte meine Beklemmung und Übelkeit trotzdem nicht unterdrücken, während wir in gebückter Haltung durch völlige Dunkelheit auf das entfernte Pochen zukrochen. Als es immer lauter wurde, begriff ich, dass es sich dabei um die Meeresbrandung handelte. Mir kam es vor wie Stunden, bis wir schließlich eine Lücke zwischen den Felsen erreichten: Wir befanden uns in Bradley’s Cave. Der Geruch des Ozeans, das tosende schwarze Wasser und der Mond über mir beruhigten mich. Ich hatte Angst, aber es gab kein Zurück.
»Schnell«, drängte Teddy. »Werft sie rein, bevor die Flut noch höher steigt und diese Höhle gefährlich wird.«
»Bist du verrückt?«, meinte Maxwell. »Was, wenn die Flut sie zurückbringt?«
»Das Risiko müssen wir eingehen«, erwiderte Teddy. »Oder hast du eine bessere Idee? Willst du das Leben deiner Frau riskieren? Wir tun nichts Falsches. Sie ist ohnehin schon tot.«
Es ist falsch. Es ist falsch. Sie hat eine
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