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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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und ging nach unten. Sadie und Betty folgten ihr ins Wohnzimmer, wo sie vor einem alten Foto stehen blieb, das ein junges Mädchen mit langen Haaren, einem verträumten Gesichtsausdruck und einem weißen Spitzenkleid aus der Zeit Eduards dem Siebten zeigte.
    »Das ist Pearls Mutter«, sagte Sadie. »Kommt da der Knopf her?« Violet nickte. »Und die Haare? Sind die auch von ihrer Mutter?«
    Violet schüttelte den Kopf. Ihre Augen wurden feucht. Plötzlich verstand Sadie. »Das Haar ist von Ihnen?«, fragte sie. »Sie haben Pearl eine Haarlocke von sich gegeben?« Violet nickte. »Weil Sie sie sehr geliebt haben«, fügte Sadie hinzu. »Das verstehe ich, Violet. Ist schon gut. Und ich bin sicher, sie hat Sie ebenfalls sehr gerngehabt. Pearl hat Ihnen vertraut, nicht wahr? Sie hat Ihnen ihre Geheimnisse anvertraut?«
    Violet nickte wieder, doch sie blickte misstrauisch drein. Sadie wusste, dass sie das kleine bisschen Vertrauen, das sie gewonnen hatte, sofort wieder verlieren würde, wenn sie jetzt etwas Falsches sagte. Violet war scheuer als alle ihre Schafe zusammen.
    »Violet, am Tag als Pearl umgebracht wurde, haben Sie da etwas gesehen?«, fragte Sadie vorsichtig. »Kam irgendjemand, den Sie kannten, hier ins Haus?«
    Nach längerem Schweigen stieß Violet einen leisen Seufzer aus und gebot Sadie und Betty ihr zu folgen. Sie führte die beiden in die Küche. Dort zeigte sie auf den alten Eisschrank, der immer noch an der Wand stand, und tat so, als würde sie nach dem Eiscrusher greifen.
    »Jemand kam ins Haus und hat sich den Eiscrusher genommen«, übersetzte Sadie. Violet drehte sich um und führte sie die Kellertreppe hinunter. Sie war wesentlich gelenkiger, als man es bei ihrem Alter erwarten könnte, und es war deutlich, dass sie diese Stufen regelmäßig hinauf- und hinunterstieg.
    Sie zeigte auf den Tunnel und kauerte sich dann zusammen, als würde sie sich verstecken. Betty und Sadie hatten Schwierigkeiten der Pantomime zu folgen.
    »Sie waren im Tunnel und haben Pearl beobachtet? Sie haben sich vor Pearl versteckt? Jemand kam mit dem Eiscrusher in der Hand die Treppe herunter und hat Pearl erstochen?« Als Violet zustimmend nickte und ein leises Stöhnen ausstieß, packte Sadie Violet am Arm, denn vor lauter Aufregung vergaß sie, wie vorsichtig sie vorgehen musste. »Wer? Wer war es, Violet? Jemand, den Sie kannten?«
    »Mrafm!« Violet mühte sich mit dem Sprechen ab.
    »War es Maxwell?« Sadie hatte die Stimme erhoben. »War es Maxwell, Violet?«
    Violet schüttelte den Kopf.
    »Wen haben Sie gesehen?« Sadie ging alle Namen durch, die sie kannte, doch bei jedem schüttelte die schluchzende Violet den Kopf.
    »War es ein Fremder?«, fragte Sadie zu guter Letzt. »War es ein Mann, den Sie nie zuvor gesehen haben?« Erst da nickte die halb hysterische alte Frau. Ja . Der Mann, den sie gesehen hatte, war ein Fremder.
    »Was für ein Reinfall!«, stöhnte Betty, nachdem Violet mit einer Tüte voller Lebensmittel und Kleidern gegangen war. »So hören die Geschichten in Büchern oder Filmen nie auf. Ich dachte, Violet würde uns verkünden, dass es sich um Birdie oder Thomasina gehandelt hat. Oder um jemanden, den wir kennen, aber nicht verdächtigt haben! Ein Fremder ist so langweilig ! Bist du sicher, dass es nicht Violet selbst war, in einem Anfall eifersüchtiger Wut? Waren die beiden lesbisch?«
    »Es gab Gerüchte, Pearl sei bisexuell gewesen, aber wie unschuldig die Beziehung der beiden war, werden wir wahrscheinlich nie wissen«, erwiderte Sadie. »Ach, Betty, ist es nicht viel besser, dass es niemand war, den Pearl kannte – oder womöglich jemand, der vielleicht noch lebt? Da ist dir ein Fremder doch sicher auch lieber?«
    »Nicht, wenn das bedeutet, dass der Fremde dann wegging und weitere unschuldige Leute umgebracht hat.«
    Sadie wollte gerade antworten, als das Telefon klingelte. Sie hob ab und signalisierte Betty dann tonlos: »Birdie.«
    »Ich weiß, es ist ziemlich dreist von mir«, erklang Birdies leicht altmodischer Tonfall knisternd aus dem Hörer. »Aber ich werde heute Nacht kein Auge zutun können, ehe ich nicht gehört habe, was Violet so lange im Poet’s Cottage gemacht hat. Die ganze Stadt summt nach dieser Neuigkeit schon wie ein Bienenkorb. Und gerade eben habe ich sie mit Kleidern, die offensichtlich Ihnen gehören, an meinem Haus vorbeimarschieren sehen. Ein Schal und eine Mütze. Würde es Ihnen sehr viel ausmachen?«
    »Kommen Sie ruhig vorbei, Birdie. Ich setze schon mal

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