Dornentöchter
ganzen Vormittag über in der Schule gewesen. Möglicherweise war die Tür defekt?
Sadie konnte die Vorstellung nicht unterdrücken, dass sich in der Dunkelheit des Kellers ein Angreifer versteckte, dessen Nerven so blanklagen wie ihre, während er, ein Messer in der Hand, darauf wartete, dass sie herunterstieg. Und dann das Messer, das immer und immer wieder in ihr schutzloses Fleisch gestoßen wurde.
Maria und Gracie sahen sie mit seltsamer Miene an. »Sadie? Ist alles in Ordnung?«, wollte Maria wissen.
Ohne zu antworten schob Sadie die Tür weiter auf und leuchtete die Holzstufen hinunter. Einen Moment lang glaubte sie Flecken an der Wand zu sehen, wie von Blut, aber nein – es handelte sich nur um ihre Phantasie und die Schattenrisse.
Die drei Frauen stiegen die verwinkelten Stufen in den kleinen, gemauerten Raum hinab, in dem es streng nach Feuchtigkeit und altem Mäusedreck roch. Ein Haufen uralter Zeitungen und Post -Zeitschriften lag neben einem verfallenen Holzschrank und einigen Dosen mit eingetrockneter Farbe.
Maria rümpfte missbilligend die Nase. »Du solltest das mal von jemandem ansehen lassen. Das könnte Schimmel sein, der sich weiter ausbreitet. Es würde auch einen tollen Vorratskeller abgeben, aber jetzt ist es nichts als toter Raum.« Sadie verzog das Gesicht. »Du willst nichts unternehmen, weil hier damals das mit deiner Großmutter passiert ist?« Maria drehte eine Runde, um alles zu begutachten. »Wenn du längerfristig im Poet’s Cottage wohnen willst, solltest du hier saubermachen. Das ist ja wie die Kulisse aus einem Horrorfilm. Lass es streichen. Eine Schicht weiße Farbe wirkt Wunder! Du könntest auch ein paar Regale einziehen – leg sie mit alter Tapete aus, dann kannst du darauf jede Menge Kram lagern. Allein beim Gedanken daran werd ich schon ganz aufgeregt! Ich könnte dir helfen, meine Liebe. So was macht mir Spaß.«
»Meine Hellseherin könnte vorbeikommen und Karten lesen«, schlug Gracie vor.
»Deine was, Gracie?« Maria schüttelte belustigt den Kopf. »Sag bloß, du hast eine persönliche Hellseherin?«
»Aber natürlich«, erwiderte Gracie. »Als würde ich je ein Haus kaufen, ohne sie vorher zu Rate gezogen zu haben!«
»Als würdest du je …« Maria zwinkerte Sadie zu. »Ich persönlich habe immer Kammerjäger und Bauinspektoren hinzugezogen. Vielleicht liegt darin mein Fehler.«
»Vielleicht«, murmelte Gracie und sah sich um. »Ich könnte dich mit ihr bekannt machen. Sie heißt Emily Kittani. Sie ist oft ausgebucht, aber wenn es dir ernst ist, kann ich es versuchen. Ganz schön gruselig hier, nicht? Ich frage mich, was Pearl an diesem Tag hier unten wollte? Wozu hat sie diesen Raum benutzt? So viele Fragen im Verlies der Zeit eingeschlossen! Emily könnte versuchen, sie für uns zu beantworten. Huch! Was ist denn das?«
Das »Es« war ein dickes Halsband aus abgewetztem Leder, von Spinnweben und einem grünlichen Schleier überzogen. Es war mit einem ausgefransten Lederriemen an der Wand befestigt. Maria beugte sich hinunter, um es sich genauer anzuschauen. »Seht euch den Durchmesser an! Damit könnte man sogar einen Tiger anleinen.«
Sadie wurde beim Anblick des Halsbandes ganz kalt. »Oder einen Tasmanischen Teufel?«, fragte sie.
»Einen Teufel?« Maria drehte sich zu ihr um. »Niemals! Du meinst, wie in Die Netzespinnerin ? Pearl hätte doch keinen Teufel in ihrem Keller halten können. Die sind nicht wie Hunde, die sind viel zu wild. Arme alte Teufel. Wie traurig, dass ihre Zahl so geschrumpft ist.«
Die drei Frauen betrachteten schweigend das Halsband. Sadie fiel die Stelle in Die Netzespinnerin wieder ein, in der es um Pearls Tasmanischen Teufel ging – sie hatte sie immer als reine Erfindung abgetan. Wie der Sandmann oder die böse Fee schien der Teufel immer einem Märchenbuch entsprungen zu sein, einem Schauermärchen, um Kinder zu erschrecken, damit sie gehorchten.
Ich habe Pearl zuerst nicht geglaubt, als sie mir von dem Teufel erzählte, den sie im Keller aufzog, schrieb Birdie. Ich habe es für eine ihrer Geschichten gehalten. Da sie sich stets weigerte, ihn mir zu zeigen, glaubte ich, er sei Teil ihres »Leidens« – inzwischen hegte ich nämlich keinen Zweifel mehr daran, dass Pearl an irgendeiner Form von Geisteskrankheit litt. Manchmal fürchtete ich mich vor ihr. Ihre Stimmung konnte so schnell umschlagen. Auch Maxwell war ängstlich, und selbst ihre armen kleinen Mädchen litten unter ihr. Ich sah ihre Töchter in Tränen
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