Dornentöchter
aufgelöst, weil Pearl ihnen androhte, sie an ihren Teufel zu verfüttern, sollten die beiden Lärm veranstalten, während sie schrieb. Ich werde mir immer Vorwürfe machen, dass ich die Kreatur bloß als ein weiteres Symptom ihres fortschreitenden geistigen Verfalls abtat.
Sadie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Pearls Teufel in der Dunkelheit darauf wartete, dass sich die Kellertür öffnete. Auf den Lichtstrahl und die nahenden Schritte der Frauenfüße. Die Füße der Frau, die ihn gefangen hielt und fütterte. Wo befand sich das Tier jetzt? Unter ihnen begraben? Von einer unbekannten dritten Person weggeschafft? Oder war es doch nur eine Erfindung gewesen, um den Kindern Angst einzujagen?
Sadie sah die Gesichter ihrer Freundinnen und ihr wurde klar, dass die beiden sich vor der seltsamen Atmosphäre im Keller genauso gruselten wie sie. »Ich glaube, wir könnten eine Tasse Tee vertragen. Hier unten ist es ja eiskalt«, sagte sie. »Gracie, vielleicht überlege ich mir doch, mit deiner Kittani Kontakt aufzunehmen.«
KAPITEL 8
Bradley’s Cave
Pencubitt, November 1935
»Diese Frau ist hier und will dich sehen.« Ich brauchte nicht nachzufragen, wen Mutter meinte: Ihr Tonfall konnte nur einen Menschen bedeuten. Mutter würde einem unangemeldeten Besucher die fehlende Etikette nie verzeihen. Besuche zu Hause waren vorher anzukündigen, so dass Mutter Zeit hatte, ihre gute Tischdecke aufzulegen, gefolgt von einer Auswahl selbstgebackener Scones und Kuchen, sowie der besten silbernen Teekanne. Dass Pearl unerwartet hereinschneite, war ein weiterer Beweis ihres sündigen Lebenswandels.
»Hier?« Ich starrte sie an. Pearl Tatlow, hier im Seagull Cottage, das überfrachtet war mit Mutters Bibelillustrationen, Porzellanfigürchen und Spitzendeckchen? Wir kochten gerade Marmelade, und ich war entsprechend angezogen. Meine Schürze war fleckig und meine Haare eine Katastrophe. Nervös wollte ich die Schürze ablegen, doch Mutter hielt mich zurück.
»Lass sie an«, befahl sie. »Die Uniform einer anständigen Frau ist keine Schande. Lass die Hure ruhig sehen, wie eine Frau unseres Herrn sich kleidet.«
»Mutter, bitte! Sie wird uns hören«, zischte ich und wünschte mir, ich könnte mich in einem Mauseloch verkriechen.
»Mögen ihre Ohren sich der Stimme des Herrn öffnen. Die Schlange persönlich ist an der Tür und begehrt Einlass. Lass dich nicht verführen, törichte Tochter.« Sie schwenkte ihren Marmeladenlöffel in meine Richtung.
»Mutter! Bitte sprich leiser und beruhig dich!« Ich musste sie wegschieben, um mich zu befreien.
Mutters fanatische Predigten machten mir Sorgen und betrübten mich. Inzwischen schalt sie mich sogar dafür, dass ich nicht täglich in die Kirche ging. Father Kelly schien dauernd bei uns zu Hause zu sitzen und fachte Mutters Empörung durch Gemeindetratsch noch weiter an. Zuerst dachte ich, er wäre nette Gesellschaft für Mutter und könnte etwas von der Einsamkeit vertreiben, die sie seit Vaters Tod verspürte, doch der beleibte kleine Mann mit den hellblauen Augen und fleischigen Lippen hatte etwas Abstoßendes an sich. Ich wusste, dass es Pearl großes Vergnügen bereitete, ihn zu provozieren – und ihn mit ihrer Nacktheit zu schockieren. Father Kelly behauptete, seine regelmäßigen Besuche im Poet’s Cottage wären dazu gedacht, Pearls arme Seele zu retten. Insgeheim fragte ich mich, ob seine Motive möglicherweise weniger heilig waren. Vielleicht fand der blasse, biedere Priester Pearl genauso verlockend wie einige seiner Gemeindemitglieder.
Als ich schließlich auftauchte, nachdem ich mir hastig die Haare zurückgestrichen hatte, lehnte Pearl an der Haustür und rauchte eine Zigarette. Eine ihrer Töchter saß auf der Stufe, dem Haus den Rücken zugekehrt. Handelte es sich um Marguerite oder Thomasina? Von hinten waren die beiden schwer auseinanderzuhalten. Das Kind trug dicke grüne Strümpfe unter einem roten Mantel mit passender Mütze. Dann wandte sie mir ihr beleidigtes, tränennasses Gesicht zu. Ich seufzte innerlich: Es war Thomasina.
»Ich glaube, deine Mutter mag mich nicht.« Pearl begrüßte mich mit einem Lächeln. Dann trat sie auf der Treppenstufe mit dem Absatz ihre Zigarette aus. »Meinst du, wir können kurz reinkommen? Die Schlange erfriert sonst hier draußen. Dieses Mistwetter ist wirklich unerträglich!« Sie sah aus, als hätte auch sie geweint. Sie schien eine wilde, nervöse Energie auszustrahlen.
Ich warf einen Blick über die Schulter.
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