Dornentöchter
war erleichtert, als es schließlich Zeit war, zu Marias warmer und gemütlicher Pension aufzubrechen.
Nachdem die uneingeladenen Gäste gegangen waren, raffte Sadie sich auf, in Bettys Zimmer hinüberzugehen. Falls Betty wach war, so reagierte sie zumindest nicht auf die Stimme ihrer Mutter, so dass Sadie irgendwann aufgeben musste. Als sie in ihr Schlafzimmer zurückkehrte, fröstelte sie – das Haus fühlte sich jede Nacht eiskalt an, egal, wie heiß der Tag gewesen war. Kein Wunder, dass sich Thomasina weigerte, darin zu wohnen.
»Dieser Kasten muss mal gründlich energetisch gereinigt werden«, verkündete Jackie, sobald sie die Haustür von Poet’s Cottage hinter sich geschlossen hatten. »Ich werde Sadie fragen, ob sie was dagegen hat, wenn ich morgen ein solches Space Clearing in Angriff nehme. Mich hat’s richtig gegruselt da drin. Dieser Geruch! Und ich hab Gänsehaut auf den Armen bekommen! Lazariel hat mir sogar in den Nacken gepustet – wenn er das tut, ist es ein sicheres Zeichen, dass in der nahen Umgebung ordentlich was los ist!«
Ausnahmsweise ließ Jack keine spöttischen Kommentare über Lazariel, Jackies Geistführer, fallen, oder über die Vorstellung, Orte energetisch säubern zu können – doch er fragte sich im Stillen, ob eine solche Säuberung und Lazariel in diesem Fall ausreichen würden. Er hatte das Gefühl, als hinge die drückende, klamme Atmosphäre der Küche immer noch an ihm. Er war sich sicher, dass er einen Schatten die Kellertreppe hatte heraufkommen sehen – zum Glück hatte er sich beherrschen können, nicht zu schreien. Jackie faselte immer noch davon, dass sie ihre tibetischen Glocken und Öle am nächsten Morgen mitbringen würde. Jack konnte sich Sadies Entrüstung gut vorstellen, wenn Jackie mit diesem Unfug ankam. Jackie war eine wunderschöne Frau mit einem sonnigen, offenen Herzen. Er war verrückt nach ihr, aber leider war sie für Jacks Geschmack etwas zu offen für spirituelle Angelegenheiten. So offen, dass sie mitunter Gefahr lief, ihren Verstand zu verlieren. Es schien nichts zu geben, an das sie nicht glaubte: Zucker für die Feen bei Vollmond, Gesänge zu Ehren alter Gottheiten, um Segen zu erhalten, Motivationsexperten, die aussahen wie Autoverkäufer. Jack glaubte an drei Dinge: Man wurde allein geboren, man starb allein und man sollte aus der Zeit dazwischen das Beste machen. Er glaubte nicht an irgendwelchen Humbug, egal in welcher Form, und war von seinen Reaktionen auf das Haus ziemlich irritiert.
Als sie durchs Gartentor traten, drehte sich Jack nach dem Haus um. Selbst aus dieser Entfernung fühlte er sich noch unwohl. Er hatte das Bedürfnis, Betty und Sadie zu beschützen. Sie schienen beide die seltsame Atmosphäre des Hauses nicht wahrzunehmen. Eine Gestalt blickte aus dem Fenster des oberen Schlafzimmers – Betty oder Sadie? Wer immer es auch war, schien sie zu beobachten. Die Silhouette glich jedoch weder seiner Exfrau noch seiner Tochter. Er versuchte gerade herauszufinden, um wen es sich handelte, als Jackie seine Gedanken unterbrach, indem sie ihn zur Eile antrieb, weil ihr kalt war. Als er noch einmal hinsah, war die Gestalt verschwunden.
KAPITEL 11
Space Clearing
Sadie erwachte am nächsten Morgen nach einer schlechten Nacht in ziemlich gereizter Stimmung. In ihren Träumen schien das Haus zu flüstern. Sie hatte ein Geräusch gehört, das wie Schritte klang, wie das Aufdrehen eines Wasserhahns, gefolgt von einem seltsamen Schleif- und Tropflaut. In einem ihrer Träume war sie in einem langen Tunnel gestanden: Sie hatte auf ihre Hände hinabgeblickt und festgestellt, dass sie blutverschmiert waren. Wessen Blut war das? Dann befand sie sich auf dem Friedhof, wo das Meer hinter ihr heftig brauste. Die verhüllte Gestalt, die sie tags zuvor beobachtet hatte, stand mit dem Rücken zu ihr da. Sadie versuchte, auf sie zuzurennen, da sie überzeugt war, es handle sich um ihre Mutter. Sie musste Marguerite erreichen, sie festhalten. Doch sie war wie festgewachsen am Boden, und die Frau ging davon. Sadie versuchte zu schreien, aber sie brachte keinen Ton heraus. Als sie nach unten blickte, sah sie, dass sie auf Pearl Tatlows Grab stand. Beim Versuch sich zu bewegen versank sie langsam im Boden. Der Name auf dem Grabstein war nun ihr eigener. Sie wurde in ihr eigenes Grab hineingezogen!
Als Sadie sich schließlich nach unten schleppte, war sie wenig erfreut, Jack und Jackie mit Betty am Frühstückstisch sitzen zu sehen. »Macht Maria im
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