Dornentöchter
Piratennest kein Frühstück?«, schnauzte sie die Gäste an und suchte nach Zitronen zum Auspressen.
Jackie, die einen fließenden weißen Kaftan und einige riesige Quarze und Amethyste um den Hals trug, lächelte ihr übliches gelassenes Lächeln und berührte einen der Kristalle, als wollte sie Sadies negative Energie abwenden. »Jack hat sich Sorgen gemacht, wie ihr beide heute Nacht zurechtgekommen seid«, erklärte sie. »Und ich muss mit dem Space Clearing anfangen.«
»Jackie, ich weiß, du meinst es gut, aber ich glaube nicht an diesen Humbug. Du verschwendest deine Zeit, und ich muss hier heute arbeiten.« Da sie sich bewusst war, wie aufmerksam Betty den Wortwechsel verfolgte, tat sie ihr Möglichstes, ruhig zu klingen.
»Sadie, bitte gib der Sache doch eine Chance. Ich kann ja verstehen, dass du dich dieser Praktik verschlossen hast, aber das ist einfach nur eine Weiterentwicklung von Fengshui.«
»Oh, vielen Dank für die Aufklärung«, gab Sadie bissig zurück.
Jackie senkte ihre Stimme, um Sadie zu beschwichtigen. »Sadie, Fengshui wird in China seit rund dreitausend Jahren praktiziert.« Während Jackie weiter in ihrem sanften, eindringlichen Tonfall über Fengshui und Space Clearing plapperte, merkte Sadie, wie sie allmählich nachgab. Jackie spürte eine Schwäche in Sadies Panzer und drängte weiter: »Dein Haus ist sozusagen die äußere Erscheinungsform dessen, was in deinem Leben gerade passiert. Ich kann dir dabei helfen, das wieder ins Gleichgewicht zu bringen.«
»Indem du gehst?«, entgegnete Sadie, nur halb im Scherz. Jack hob die Hände, als wollte er sagen, Ich habe versucht, sie davon abzubringen . Sadie schnitt die Zitronen in Stücke und stellte sich dabei vor, es wäre sein Hals.
»Warum hast du dir Sorgen gemacht, Dad?«, schaltete sich Betty ein und warf ihrer Mutter einen flehenden Blick zu.
»Er glaubt, dass es hier spukt«, antwortete Jackie. »Könnte ich bitte noch etwas Toast haben? Ihr habt vermutlich kein glutenfreies Brot, oder?«
Sadie vermied es, Jack anzusehen, während sie ein Ei kochte und Toastscheiben mit Butter bestrich. Sie hatte noch nie erlebt, dass Jack vor etwas Angst hatte, und ganz sicher nicht vor Geistern. War das ernst gemeint? Hatte er wirklich etwas im Poet’s Cottage gesehen? Oder handelte es sich nur um eine geschickte Strategie, um Sadie zur Rückkehr nach Sydney zu bewegen? Nun, sie würde ihm nicht seinen Willen lassen! Sadie fürchtete die Machtprobe, die drohend im Raum stand. War Betty wirklich bereit, das neue Leben, das Sadie für sie beide eingerichtet hatte, zurückzulassen? Könnte Sadie sich ein Leben in Tasmanien ohne ihre Tochter vorstellen? Sie wünschte, sie hätte gestern Abend mit Betty reden können. Nun verhinderte Jacks und Jackies Anwesenheit beim Frühstück jegliche normale Unterhaltung mit ihrer Tochter.
Um die Lage noch weiter zu komplizieren, bot Jack an, Betty in die Schule zu fahren. Zweifellos konnte sie da noch mal so richtig darüber jammern, wie ihre Mutter sie behandelte, dachte Sadie. Schuldbewusst mied Betty Sadies Blick, während sie ihre Schulbücher zusammensuchte.
»Bin bald wieder da«, meinte Jack. »Jackie, versuch es mit dem ganzen Hokuspokus nicht zu übertreiben. Vergiss nicht, Sadie glaubt nicht daran. Übrigens, Sadie, deine Frisur sieht heute Morgen ein bisschen besser aus. Wie eine niedliche kleine …« Er hielt inne und suchte nach dem passenden Wort.
»Ratte?«, schlug Sadie vor und warf ein Geschirrhandtuch nach ihm. Alle lachten erleichtert auf, und die Spannung, die zwischen ihnen knisterte, flaute ein wenig ab.
Nachdem Jack und Betty verschwunden waren, beobachtete Sadie Jackie misstrauisch. Die junge Frau war aufgestanden und läutete in den Ecken des Raumes mit einer Goldglocke. »Tu einfach so, als wäre ich nicht da«, wies sie Sadie fröhlich an. Auf Sadies vernichtenden Blick hin fügte sie hinzu: »Vielleicht fange ich am besten oben in den Schlafzimmern an und lass dich hier unten erst mal in Ruhe. Trink doch noch einen Kaffee. In der Zwischenzeit beseitige ich den Astralschutt und reinige die Räume für dich.« Sie strahlte.
Es gab einmal eine Zeit, dachte Sadie, während sie den klingelnden Glöckchen, dem Händeklatschen und den Gesängen von oben lauschte, da hätte sie sich Jack niemals mit jemandem wie Jackie vorstellen können. Exzentrisch, ungeschickt und esoterisch abgehoben wie sie war, verkörperte sie genau die Art von Mensch, die er früher verachtet hatte.
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