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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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hob warnend die Hand und wiederholte ihren Schrei, ehe sie quer durch den Friedhof davoneilte, so dass der schwarze Mantel hinter ihr herwehte. Sie lief Richtung Strand, stellte Sadie fest, und dieser Gedanke löste sie aus ihrer Starre. Sie rannte hinterher. »Warten Sie! Bitte bleiben Sie stehen!« Die fliehende Gestalt verschwand hinter einem hohen Grabstein.
    Der Strand lag völlig verlassen da. Die Frau war nirgends zu sehen. Sie hatte sich in Meer und Himmel aufgelöst.
    Sadie stand mit weit aufgerissenen Augen da. »Was ist los mit mir?«, flüsterte sie. Sie sah sich wieder nach der verhüllten Frau um, doch die war spurlos verschwunden. Spielte Sadies Gehirn ihr Streiche? Sie konnte Jacks Spott förmlich hören: Noch eine? Einen Geist könnte ich ja noch verstehen – aber zwei innerhalb von sechs Monaten, das ist ja eine regelrechte Invasion. Bist du sicher, dass du nicht den Verstand verlierst, altes Mädchen?
    »Wahnsinn ist erblich«, sagte sie laut.
    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?« Die Stimme hinter ihr ließ Sadie zusammenfahren. Als sie sich umdrehte, erblickte sie einen großgewachsenen Mann, in dessen schwarzes Haar sich etwas Grau mischte. Neben ihm stand ein blonder, etwa siebenjähriger Junge. Im Gegensatz zu Sadie waren sie dem Wetter angemessen in dicke Jacken und Schals gehüllt.
    »Oh! Sie haben mich aber erschreckt!«
    »Verzeihen Sie, aber Sie wirkten ein wenig unglücklich. Ich bin Simon Parish und das ist mein Sohn Liam. Ich bin Rektor der Schule hier.« Seine Stimme war klar und sein Verhalten etwas schroff. Sadie konnte sich gut vorstellen, wie sie auf ihn wirken musste – eine halb hysterische Frau mit erschrockener Miene (und komischer Frisur), die auf einem Friedhof mit sich selbst sprach. Sein Blick wanderte rasch über ihr unpassendes Schuhwerk und ihre Kleidung. Zweifellos tat er sie als törichte Touristin ab.
    »Mir geht es bestens«, log sie. »Ich bin Sadie Jeffreys. Ich bin im Poet’s Cottage eingezogen. Meine Mutter …« Sie konnte den Satz nicht beenden. Sonst wäre sie vor diesem ernst aussehenden Mann zusammengebrochen.
    »Ja. Ich weiß, wer Sie sind. In dieser Stadt weiß jeder alles. Nun, wenn es Ihnen gut geht, dann werden wir unseren Spaziergang jetzt fortsetzen. Guten Tag.« Er nickte, und die beiden wanderten weiter zum Strand hinunter, ungeachtet des heraufziehenden Unwetters. Der Junge blickte noch einmal zu ihr zurück und fragte sich sicherlich, ob sie eine Verrückte war. Es war Sadie furchtbar peinlich, von einem solch grimmig wirkenden Mann bei Selbstgesprächen ertappt worden zu sein. Der hiesige Schulleiter sah aus, als hätte er in seinem ganzen Leben noch keinen phantasievollen Gedanken gehegt. Gott sei Dank ging Betty in Burnie zur Schule und musste sich nicht mit ihm herumschlagen.
    Beim Gedanken an Betty sah sie erschrocken auf die Uhr. Sie hätte ihre Tochter vor einer halben Stunde an der Bushaltestelle abholen sollen! Betty würde sich ärgern, dass sie laufen musste, selbst wenn es nur zwanzig Minuten waren. Dauernd redete sie übers Sporttreiben, aber aktiv darum bemühen tat sie sich nie.
    Als sie im Poet’s Cottage ankam und die Küche betrat, fand sie dort Jack, Jackie und Betty vor, die sich eine Kanne Tee und Muffins teilten. Bettys zuerst schuldbewusste Miene wich fassungslosem Staunen, als sie Sadies neue Frisur bemerkte. »Mum! Was hast du bloß mit deinen Haaren gemacht? Das ist ja furchtbar! Du siehst aus wie ein Punk! Warum hast du sie abgeschnitten?«
    »Das reicht, Betty«, mischte sich Jack ein. »So redet man nicht mit seiner Mutter. Deine Frisur ist furchtbar, Sadie«, stimmte er ihr jedoch zu und griff fröhlich nach einem Muffin. »Länger hat dir besser gestanden.«
    »Wie kommst du darauf, dass mich deine Meinung interessiert?«, gab Sadie zurück. »Oder berate ich dich etwa zum Thema Toupet?«
    »Vielleicht hättest du sie gleich ganz abrasieren sollen?«, gab nun auch Jackie ihren Senf dazu. »Es ist spirituell unheimlich befreiend, sich von seinem Haar zu trennen.«
    »Machen das deshalb die Leute, die anschließend losziehen und hundert Menschen in einem Einkaufszentrum abknallen?«, fragte Sadie.
    Jack versuchte verlegen das Thema zu wechseln, indem er mit vollem Mund verkündete: »Die sind total lecker. Magst du einen?« Er hielt Sadie den Teller hin. »Deine neue Freundin Maria hat sie für uns gebacken. Die ist ganz schön appetitlich, nicht wahr? Und kochen kann sie auch!« Er warf Jackie einen vielsagenden

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