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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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als Pearl mich durch den Flur schob.
    Die Kinder saßen auf dem Fußboden und spielten mit Angel und Maxwell Karten. Teddy hockte auf einem der Sofas. Sein Blick folgte Pearl wie der eines hungrigen Hundes. Auf einem Stuhl saß Violet mit ihrer üblichen gelangweilten Miene, die sich aufhellte, als ich den Raum betrat. Sie gab zu verstehen, dass ich mich zu ihr setzen sollte, während Pearl sich neben Teddy niederließ.
    »Hol dir doch was zu trinken, Birdie«, bot Pearl mir an. »Du siehst aus, als hättest du eine Zitrone verschluckt. Für diesen Gesichtsausdruck bist du viel zu jung.«
    »Achte einfach nicht auf sie«, meinte Maxwell. »Du siehst heute Abend sehr hübsch aus.« Pearl warf ein Kissen nach ihm, und Thomasina wies ihren Vater lautstark an, das Spiel richtig zu spielen.
    Ich ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Nun, da ich im Poet’s Cottage angekommen war, merkte ich, dass ich nicht in Stimmung war, die Party zu genießen, und wäre am liebsten wieder gegangen. Das Einzige, woran ich heute denken konnte, war, wie Pearl mir meine Chancen auf eine Beziehung mit Victor zerstört hatte. Sie hatte meine Freundschaft missbraucht. Ich war für sie nur eine Witzfigur, die sie verspotten und verachten konnte. Langsam trank ich das Wasser und beobachtete dabei mein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Ich wünschte mir, Pearl wäre tot. Ja, rückblickend erscheint es furchtbar, einen solchen Gedanken gehegt zu haben. Ich meinte es auch nur in diesem einen Moment ernst, ähnlich wie ein kleines Kind sich schmollend etwas Derartiges wünschen könnte. Pearl schien so viele Leben zerstört und Träume zerschlagen zu haben. Ich gab ihr, so unfair das auch gewesen sein mag, die Schuld daran, dass Victor die Stadt abrupt verlassen hatte, und sie hatte Maxwell zum Gespött gemacht. Außerdem war sie eine schreckliche Mutter, die ihre Töchter zugunsten ihrer mittelmäßigen Schreiberei vernachlässigte. Ich hatte oft miterlebt, wie sie Thomasina geradezu grausam behandelte. Obendrein war sie eine schlampige Hausfrau und eine miese, unaufrichtige Freundin. Meine innerliche Liste der Anklagepunkte wuchs an, bis ich das Gefühl hatte, an all dem Gift, das in mir kochte, zu ersticken. Während ich mein Spiegelbild betrachtete, überließ ich mich dunklen Phantasievorstellungen, in denen ich mir ausmalte, Pearl würde ins Meer gehen, um sich zu ertränken, oder zerfetzt unter einem Zug liegen. Ohne Pearl wären wir alle glücklicher. Und Maxwell wäre frei, eine Beziehung mit einer anständigen, liebevollen Frau einzugehen. Einer Frau wie mir, die ihn für das liebte, was er war, und ihn nicht pausenlos dafür schalt, nicht mehr Ehrgeiz zu besitzen. Er könnte Golf und Kricket spielen und die Mädchen mit Güte großziehen. Es gäbe unschuldiges Familienlachen im Poet’s Cottage, wenn Pearl tot wäre.
    Als man Pearl dann so brutal ermordet nur ein paar Meter von der Stelle entfernt fand, wo ich mir ihr grausiges Ende vorgestellt hatte, konnte ich mir selbst kaum vergeben. Kennen wir die Macht unserer Gedanken? Hatte ich, indem ich mir ihren Tod ausmalte, eine Art dunkle Energie im Haus erschaffen? Und hatte sich diese Energie an einen willensschwachen, schlechten Menschen geheftet, der dann vom Wunsch erfüllt wurde, Pearl umzubringen? Obwohl mir bewusst war, wie albern und melodramatisch diese Überlegungen waren, so quälte ich mich doch mit ihnen herum.
    Jedenfalls dauerten meine makabren Phantasien an jenem Abend nur so lange an, wie ich brauchte, um das Wasser auszutrinken. Als ich zur Gruppe zurückkehrte, sah man auf meinem Gesicht keine Spuren meiner düsteren Gedanken. Ich fühlte mich an jenem Abend weiterhin einsam und schwermütig, während ich sinnleere Unterhaltungen führte, die vier Liebenden um mich herum beobachtete – Pearl, Teddy, Angel und Maxwell – und ihre schmutzigen Geheimnisse teilte. Falls Violet meine Gefühle erahnte, so war ihrer Miene und ihrem endlosen Geplapper nichts davon anzumerken.
    Es war Heiligabend, eine Zeit des Friedens auf Erden, doch ich verspürte meinen Gefährten gegenüber nur wenig Wohlwollen. Als ich so verdrossen dasaß, schwor ich mir, dass mit dem neuen Jahr meine Besuche im Poet’s Cottage aufhören würden und ich mich stattdessen auf meine eigenen Ziele konzentrieren wollte. Ich hegte schon lange den Wunsch, mehr Geschichten aus unserer kleinen Stadt aufzuschreiben, oder sogar eigene Kinderbücher zu verfassen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das

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