Dornentöchter
in ihren Adern zu erahnen. Die stählerne Sicht auf die Dinge und die Entschlossenheit, die Hellyer dazu getrieben hatte, in solch trostloser tasmanischer Wildnis einen englischen Landsitz zu erbauen, nur um dann miterleben zu müssen, wie seine heißgeliebte jüngste Tochter vor seinen Augen in dem Wägelchen, das er für sie gebaut hatte, ums Leben kam, gefolgt vom Tod seiner Frau weniger als ein Jahr später. Die meisten Einwohner von Pencubitt glaubten, sie sei aus Kummer gestorben: Es hieß, ihr Haar wäre vor Schreck weiß geworden, als sie aus dem Haus gerannt kam und ihr Kind blutig und zerschlagen in der Auffahrt liegen sah. Vielleicht handelte es sich auch bloß, wie Mrs Bydrenbaugh gesagt hatte, um eine Geschichte, die mit der Zeit immer mehr ausgeschmückt wurde.
Irgendwann verstummte sie, und wir saßen in unbehaglichem Schweigen da. Ich hatte das Gefühl, dass Mrs Bydrenbaugh mir noch etwas anderes anvertrauen wollte, doch auf ihre nächsten Worte war ich nicht vorbereitet. »Ich weiß, dass Sie und ich Geschichte beide sehr schätzen. Ich wünschte nur, Violet hätte das auch geerbt. Sie ist ein liebes Mädchen, aber sie kommt nach ihrem verstorbenen Vater und hat einen hohlen Kopf. Wenn sich eine Unterhaltung nicht um einen amerikanischen Filmstar oder irgendeinen Schlager dreht, hat sie keinerlei Interesse. Ich spüre, dass Sie sind wie ich und für Sie im Flüstern der Vergangenheit eine gewisse Romantik liegt.«
Ich war überrascht und zugegebenermaßen geschmeichelt von ihrer Bemerkung. Innerhalb eines Vormittags hatten mir sowohl Mutter als auch Tochter von Blackness House freundschaftliche Avancen gemacht. Als Mrs Bydrenbaugh sodann anbot, mir die Kammer zu zeigen, welche die Männer freigelegt hatten, nahm ich dankbar an. Zuerst musste ich ihr jedoch versprechen, dass ich nicht darüber schreiben würde, bevor ich nicht ihre Genehmigung dazu hatte.
Indem ich das hier niederschreibe, breche ich natürlich dieses Versprechen, doch ich glaube nicht, dass das noch von Bedeutung ist. Vermutlich wäre es ihr nun egal. Denn wie hätten wir an diesem wunderschönen Sommertag, als so viel Hoffnung in der Luft lag, ahnen können, dass Blackness House und das Poet’s Cottage von einer solchen Tragödie heimgesucht würden? Als ich ihr durch den Rosengarten zu dem imposanten Anwesen folgte, war nicht mal ein Hauch der drohenden Ereignisse zu spüren.
Eine Gruppe von Männern war bei unserem Herankommen offenbar in eine hitzige Diskussion vertieft. Wir befanden uns nun auf der Rückseite des Hauses, wo die Hühner um das Waschhaus und den alten Abort herumgluckten. Ein Stück entfernt, neben dem steinernen Schulgebäude und gegenüber des Kräutergartens, stand die kleine Kapelle. Im Schulgebäude fanden immer noch öffentliche Versammlungen statt. Die Kapelle hingegen war nicht mehr genutzt worden, bis Mrs Bydrenbaugh ihre schicksalsträchtige Entscheidung gefällt hatte, sie für Violet restaurieren zu lassen.
Die Arbeiter verstummten, als sie uns erblickten. Einige nahmen ihre Kappen ab. Ich kannte diese Männer schon mein ganzes Leben, und trotzdem spürte ich ihre Abneigung uns gegenüber, was mich verwirrte. Werkzeug lag ringsherum verstreut, und in der Luft schwebte immer noch Staub. Ich warf einen Blick auf die Tür der kleinen, dunklen Kapelle, denn ich war neugierig, was wohl ihre Aufregung verursacht hatte.
»Alles wieder ruhig, Peter?«, herrschte Mrs Bydrenbaugh den Vorarbeiter an. »Ich habe Miss Pinkerton mitgebracht, damit sie sich mal Ihr geheimes Zimmer ansehen kann. Sie wird nicht die Flucht ergreifen und Trost im Bierkrug suchen, im Gegensatz zu einigen Ihrer Männer. Kann sie es gefahrlos betreten? Haben Sie drinnen nach Schlangen geschlagen?«
»Haben wir, Madam. Es gab ein paar Tigerschlangen, aber die haben wir erledigt.« Er zeigte auf den hinteren Zaun, über dem zwei große Schlangen hingen.
»Na, dann sind Ihre Männer wenigstens zu etwas gut«, kommentierte Mrs Bydrenbaugh. Sie schüttelte missbilligend den Kopf. »Machen so einen Aufstand wegen ein paar Geistern! So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört!«
»Das habe ich ihnen auch gesagt, Madam«, erwiderte Peter. Er warf mir einen Blick zu, und ich sah, dass ihm trotz seiner Worte nicht ganz wohl in seiner Haut war.
Zu dritt betraten wir die Kapelle. Die Arbeit war hastig abgebrochen worden: Auf dem Boden lag überall Werkzeug herum und daneben halb ausgepacktes Essen für die Mittagspause. Edward Hellyer hatte
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