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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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hielt mich mit eisernem Griff, und ich trat in die Luft. Ich trat nach hinten gegen seine Schienbeine, aber es schien, als würden die Tritte an ihm abprallen.
    »Hast du es noch nicht begriffen?«, quiekte ich mit Tränen in den Augen vor Schmerz und Verzweiflung. »Edvardsen hat Peter Werner umgebracht. Edvardsen und Irene.«
    Jonassen stand da und hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Er sah zu mir auf. Edvardsen ließ mich abrupt fallen, riss mich herum und schlug mir ins Gesicht, sodass ich mit einem dumpfen Stöhnen zu Boden ging. »Was faselt der Kerl da, Karsten?«
    »Hör nicht auf ihn – merkst du denn nicht, dass er versucht, uns gegeneinander aufzuhetzen, um selbst davonzukommen.«
    »Alle schlafen mit Irene Jonassen«, sagte jemand. »Peter Werner und Karsten Edvardsen und …« Sogar Varg Veum. Plötzlich fiel mir auf, dass es meine eigene Stimme war, die ich da hörte.
    Ich versuchte aufzustehen. Edvardsen traf mich mit einem Tritt, und ich wurde über den Boden geschleudert.
    »Vorsichtig«, murmelte Jonassen. »Wenn wir ihn misshandeln, merken sie vielleicht hinterher was.«
    »Man knallt ziemlich hart auf, wenn man aus dem fünften Stock fällt«, sagte Edvardsen.
    »Klar, aber ja wohl nicht am ganzen Körper, oder?«
    Ich hatte eine neue Idee. Mir tat der Bauch weh, die Seite und der eine Arm. Mein Gesicht fühlte sich an wie mürbe geklopft und ich blutete im Mund. Aber ich sagte: »Peter Werner hat alle erpresst. Dich, Jonassen – weil er von deinen betrügerischen Geschichten Wind bekommen hatte.«
    »Das waren Bagatellen.«
    »Jedenfalls behielt er seinen Job. Pro forma. Und er hat Irene erpresst, weil er selbst mit ihr geschlafen hatte und dir erzählen konnte …«
    »Peter Werner!«
    Ich sagte müde: »Wie blind kann ein Mann eigentlich sein, Jonassen?«
    Er sah jetzt hilflos von Edvardsen zu mir. Edvardsen sagte kein Wort. Er starrte mich an, als habe er Lust, mich in kleine Stücke zu reißen.
    »Er hat sogar den Typen erpresst, der …«
    »Das ist gelogen, Veum – und das weißt du!«, sagte Edvardsen.
    »Vielleicht«, sagte ich. »Vielleicht auch nicht. Oder hast du ihn nur umgebracht, um deiner Freundin zu helfen?«
    »Ich hab ihn verdammt noch mal nicht …«
    »Frag ihn, Jonassen«, sagte ich dünn. »Frag ihn selbst – ob er nicht mit ihr geschlafen hat.«
    Arve Jonassen sah leer in die Luft. »Wir konnten keine Kinder bekommen«, sagte er. »Das war der Fehler.«
    Edvardsen sah Jonassen aus schmalen Augen an. Seine Verachtung leuchtete durch die klaffenden Schlitze. »Soll ich ihn jetzt rauswerfen, Arve?«
    Jonassen sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, als habe er vergessen, weshalb wir hier waren. »Ja«, sagte er matt. »Tu das.«
    Ich kam auf die Beine und blieb stehen, die Fäuste vor dem Bauch geballt. Ich stand mit weit gespreizten Beinen, aber ich kam trotzdem aus dem Gleichgewicht und spürte, dass ich mich jeden Augenblick übergeben musste. Er würde keine größeren Probleme mit mir haben. Ein kläglicher Abgang.
    Er stieß mit einer flachen Hand hart gegen meine Brust, und ich trippelte rückwärts, wie ein Besoffener auf einem frisch gebohnerten Tanzparkett. Ich schlug mit den Armen zur Seite, suchte nach etwas, an dem ich mich festhalten konnte. Hinter mir spürte ich den Sog der Öffnung immer näher kommen. Ich fühlte die Luft kälter werden. Dann traf die Innenseite meines Unterarms auf etwas Scharfes. Ich griff danach, meine Finger tasteten an der Kante entlang, ich drehte mich herum, die Öffnung kam mir entgegen, der Regen, die Finsternis, die Lichter dort unten …
    Ich blieb ganz am Rand des Balkonbodens stehen, außerhalb des Gebäudes, genau am Rande der Türöffnung, den einen Arm an der Wandinnenseite, den anderen außen. Die Wände waren nass vom Regen. Fünf Stockwerke weiter unten lag ein schwindeliger Tod und wartete auf mich. Ich hörte Automotoren und sah die Straße weit unten: dunkel und nass. Ein ganzer Haufen Autos standen vor dem Tor, und das Tor war weit offen.
    Von drinnen hörte ich Vadheims Stimme: »Nicht einen Schritt weiter. Bleiben Sie, wo Sie sind.«
    Der Raum war voller Polizisten, und starke Pranken packten mich am Arm und zogen mich hinein.

42
    Drinnen blieb ich an die Wand gelehnt stehen. Es flimmerte vor meinen Augen, und mir war schlecht.
    Kräftige Polizisten hatten Jonassens und Edvardsens Arme gepackt. Sie hielten sie fest.
    Vadheim stand mitten im Raum. Sein Mantel hing locker an ihm. Seine braunen Augen blickten

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