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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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gemessen den zwei anderen zu.
    Ich schickte mich an zu gehen, als Frau Werner sagte: »Entschuldigen Sie, Veum …«
    Ich sah sie fragend an.
    »Wir haben gehört – wie tüchtig Sie waren, wie schnell Sie Lisa gefunden haben … und wir wollten fragen …«
    Ich wartete. Wir hörten, wie Halle hinter uns seinen schwarzen Saab startete. Ich sah ihm nach. Lisa saß fast unsichtbar auf dem Rücksitz, den Kopf an die Schulter ihrer Mutter gelegt, den Arm der Mutter um sich. Es hatte aufgehört zu regnen, und der Geruch nach frischem Gras und frischen Blumen war sehr intensiv, fast exotisch. Der Himmel wölbte sich weiß schimmernd und hoch über uns, die Sonne zeichnete sich als heller Fleck hinter den weißen Wolken ab, ein noch helleres, kräftigeres Weiß. Vielleicht würde sie bald durchbrechen.
    »Wir wollten fragen – ob Sie auch Peter für uns suchen würden.«
    Ich sagte: »Wenn Sie mich darum bitten, dann selbstverständlich. Von solchen Aufträgen lebe ich. Aber … die letzten Tage waren sehr anstrengend. Wenn ich bis – morgen warten könnte?«
    Frau Werner sah mich an: »Aber –«
    Ich sagte: »Wir könnten vereinbaren – wenn Sie in mein Büro kommen könnten? Wir müssen eine richtige Absprache treffen – Sie müssen sich darüber im Klaren sein, was es kostet …«
    »Können wir nicht – jetzt gleich? Wir – wir wohnen gleich nebenan.« Sie zeigte auf das Nachbarhaus: ein weiteres weißes Holzhaus, aber vielleicht nicht ganz so groß wie dieses, und ein etwas kleinerer Garten. Dennoch war es um ein Vielfaches beeindruckender anzusehen, als irgendein Haus, in dem ich jemals gewohnt hatte.
    Ich sagte: »Tja …« Die durchwachte Nacht lag wie eine eiserne Klammer um meinen Kopf, aber andererseits: Die beiden strahlten echte Verzweiflung aus, und ich wusste, wie sie sich fühlen mussten. Ich war vielen Eltern in der gleichen Situation begegnet, und ich hatte selbst ein Kind, irgendwo. Und wenn wir es gleich hinter uns brächten, könnte ich danach nach Hause fahren, ein wenig Schlaf nachholen und dann schon am nächsten Morgen mit diesem Auftrag beginnen.
    »Ich werde Kaffee kochen«, sagte Frau Werner.
    Als sei Kaffee das Einzige, was mir gefehlt hatte, sagte ich: »Na dann. Okay. In Ordnung.«
    Ich folgte ihnen aus dem einen Garten in den anderen.

9
    Die Halle in diesem Haus war genauso groß und leer, aber es gab nur zwei Wohnzimmer, von denen eines ein Esszimmer war. In beiden Räumen herrschte eine dunklere, altmodischere Atmosphäre als im Nachbarhaus, und die Möbel sahen eher nach Erbstücken aus als nach einer Möbelausstellung. Es gab lange Regale mit Büchern, aber die Buchrücken wirkten verschlissen und veraltet und erzählten mir, dass früher einmal jemand in diesem Hause Bücher gekauft hatte, man damit aber aufgehört hatte. Lederrücken, vergilbte Leinenbände, zerfledderte, geklebte Kriminalromane mit Pappeinband, Lexika, in denen das Britische Empire noch über große Gebiete von vier Erdteilen herrschte, Gesundheitsbücher aus der Zeit vor der Hochkonjunktur des Herzinfarkts. Hätte man dieses Wohnzimmer Ende der Vierzigerjahre betreten, wäre einem nichts Ungewöhnliches aufgefallen.
    Frau Werner verschwand in die Küchenregionen (ich fragte mich, wie alt die Köche wohl waren), während Werner mir einen nicht gerade bequemen Sessel zuwies. Er war etwas zu hart und die Federung etwas zu widerwillig. Werner sagte: »Kann ich Ihnen einen Kognak anbieten – einen richtig guten?«
    Ich war offensichtlich in die richtigen Kreise gekommen. Man bot mir in einer Tour Drinks an, obwohl es noch nicht einmal ein Uhr war.
    Ich sagte: »Aber nur einen kleinen.« Das war auch eine Art, sich über Wasser zu halten. Meine Haut begann, sich ziemlich schwammig anzufühlen, und meine Augäpfel waren rau und empfindlich.
    Werner verschwand im Esszimmer und kam kurz darauf mit zwei rundbäuchigen Gläsern in den Händen und einem gerahmten Porträtfoto unter der Achsel zurück. Er gab mir das eine Glas, stellte das andere ab und setzte sich in einen Sessel vom gleichen Typ wie der, in den ich glitt. Er betrachtete das Foto einen Moment, bevor er es mir über den Tisch reichte. »Peter«, sagte er.
    Ich sah mir das Foto an. Es zeigte einen ungefähr siebzehn-, achtzehnjährigen Jungen. Er hatte blondes, ziemlich dickes, kurz geschnittenes Haar. Sein Lächeln war breit, seine Zähne sahen makelloser aus als seine Haut, die um den Mund herum Pickel unterschiedlicher Größe aufwies. Seine Augen

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